Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Coaching Zone: Deutschland - USA

Da gehen sie, Birgit Prinz, da Nadine Angerer, hinein ins Stadion von Augsburg mit 30.000 BesucherInnen. Und gerade noch vor 1 Woche, erinnert ihr euch, da standen wir noch nebeneinander auf dem Rasen des Sportplatzes des HSV beim Spiel gegen den FFC Frankfurt, wo sich nach dem Spiel Spielerinnen und Zuschauer (ca. 300 waren da) vereinten. Ist das nicht verrückt? Das man soeben noch in der Bundesliga ein Spiel quasi auf dem Schoß von Ariane Hingst auf der Ersatzbank verfolgen konnte und jetzt dieses gigantische Ereignis im Fernsehen verfolgt, das uns einen Eindruck von dem geben soll, was 2011 zu erwarten ist?

Bei jenem für mich bemerkenswerten Spiel HSV gegen den FFC Frankfurt letzte Woche geschah folgendes: In einer kurzen Spielunterbrechung stand auf einmal der neue Coach des FFC mindestens drei Meter weit auf dem Platz. Da hatte er doch wirklich einfach seine Coaching Zone verlassen und plauderte mit Birgit Prinz. Irgendwann kam dann mal die Linienrichterin vorbei, die ihn bat, doch wieder etwas zurück zu treten. Vielleicht steht dieses Erlebnis heute Pate für meine Idee, mich vielmehr in meine Coaching Zone zurück zu ziehen. 90 Minuten. Mit Nachspielzeit. (Ich gebe zu, die Idee ist vor allem der Tatsache geschuldet, das gerade die Zeit für Artikel extrem begrenzt ist.)

Wie präsentieren sich die deutschen Frauen? Ich würde sagen lustvoll. Mia Hamm hat gesagt, sie sind „heiß“ auf das Spiel. Und das stimmt. Voller Motivation, selbstbewusst, mit dem Bedürfnis, sich zu zeigen, etwas zu reißen. Die freuen sich richtig, sind vielleicht auch dankbar. Und das vor allem mit der desaströsen Statistik im Rücken. Und 30.000 Fans. Gute Bedingungen, will ich meine.

Schauen wir uns also die Aufstellung an. Da fehlt mir vor allem Melanie Behringer, leider immer noch verletzt. Doch Lira Bajramaj, die Ballverliebte Technikerin - vielleicht tut ihr diese Verantwortung gut. Und ich bemerke Linda Bresonik in der Viererkette. Hingst noch verletzt, dafür Bartusiak. Die ersten 15 Minuten zeigen eine beeindruckende Gruppendynamik der deutschen Frauen. Gute Raumaufteilung, die den Amerikanerinnen wenig Möglichkeiten lässt, schön heraus gespielte Angriffe. Sicherlich Ergebnis von Silvia Neids Entscheidung, das Team der Europameisterinnen nicht zu verändern. Und ich habe es vermutet und es löst sich ein, Bajramaj viel besser und weniger egoistisch, als ich sie bisher erlebt habe. Super Impulse nach vorne.

(Kim Kulig, teilt Bernd Schmelzer gerade mit, soll das Gesicht der WM werden. Ich bemitleide sie ja schon immer, wenn sie bei Bundesligaspielen vom HSV vom Stadionsprecher mit dem Zusatz „unsere“ Europameisterin angekündigt wird...)

Besonders gut gefällt mir die Ausgeglichenheit der beiden deutschen Flanken. Viel geht über die Außen, aber alle greifen gut ineinandern. Schnelles Umschalten lässt den Amerikanerinnen scheinbar oft nur die Alternative grober Fouls. Nach vorne konnten sie bisher überhaupt keine Impulse setzen.

(Das Stadion in Augsburg ist das erste Mal überhaupt in seiner Geschichte ausverkauft.)

Und jetzt passiert doch wirklich, was nicht passieren darf: Krasser Fehler, krasse Fehler und dann das Gegentor. Bartusiaks Querschläger und Angerers Fehleinschätzung der Lage führt zum uneleganten Führungstreffer für die Amerikanerinnen. Jetzt wird sich zeigen, ob dieser Schlag das Spiel bestimmen wird. (Gehört nicht das retardierende Moment zur Tragödie dazu?)

Die Partie ist nicht besser geworden, eher schlechter. 0 : 1, das ist eigentlich nicht zu fassen, weil zu wenig für die Deutschen. Gott sei Dank ist jetzt Halbzeit.

(Und jetzt geht’s wirklich los: Karten für 2011, das „Frauenmärchen“, wie Steffi Jones es inhaltlich richtig, aber begrifflich etwas daneben nennt. In 21 Monaten ist es schon soweit.)

Zweite Hälfte beginnt genauso wie die erste. Wobei: der erste „normale“ Torschuss der Amerikanerinnen, das ist doch in der 47. Minute erwähnenswert.

Es scheint eine unsichtbare Wand im Strafraum der US-Spielerinnen zu existieren, die Deutschen spielen hochklassigen und schnellen Fußball bis an die Strafraumgrenze und verstolpern dann die Bälle, als hätte man ihnen auf den letzten Metern die Schnürsenkel zusammengeknotet. Alles geht nur in einer Richtung. Insbesondere Bajramaj steht immer wieder mit ihren Sprints auf der rechten Seite im Mittelpunkt der Bildregie, sie läuft so schnell, dass ihre zusammengebundenen Locken waagerecht in der Luft stehen.
Man sollte übrigens nicht vergessen, dass die schlechte Chancenverwertung durch Bernd Schmelzers übermäßige Betonung von Stimmung und Zuschauerzahlen im Stadion etwas unter den Tisch gekehrt wird. Ein amtierender Welt- und Europameister muss da effektiver sein!

Völlig unverständlich: Bajramaj rauszunehmen. Das Spiel ist neben einem Testspiel auch Werbung für den Frauenfußball. Und Bajramaj nicht nur die beste Spielerin auf dem Platz, sondern dadurch, dass sie den ansehnlichsten Fußball präsentiert auch Publikumsliebling. Doofe Entscheidung von Silvia Neid.

Motto des Spiels: Gut gedacht, schlecht gemacht.

In der Endphase verkommt das Spiel leider zu einem unattraktiven Kick, unmotiviert und mit unverständlichen Szenen: wie z. B. die Strafraumszene mit Bartusiak und Wambach, bei der die deutsche Abwehrspielerin Glück hat, dass es keinen Elfmeter gibt. Es gibt jetzt viele Fouls, viele Spielunterbrechungen und viele Fehlpässe. Besonders die optimistischen Bälle in die Spitze, wohl in der Annahme Birgit Prinz hätte mal eben ihre Sprintfähigkeit verdoppelt erzählen von einer Hilflosigkeit des deutschen Angriffspiels. Noch dazu fehlt es an Ordnung und Struktur hinter den Spitzen.

9 Minuten vor Schluss rückt Bresonik endlich auf ihre richtige Position, ins Mittelfeld. Aber ob das so spät noch für die nötigen Akzente reicht...

Die Schlussphase: ein Trauerspiel...

Ich leg mich nieder! Zwei Minuten vor Schluss noch der Wechsel Prinz – Müller; als würde man, die Führung im Rücken, noch Zeit schinden wollen. Das ist ja wohl ein Witz! Die Bundestrainerin agiert für mich heute extrem unverständlich.

Jetzt ist Schluss. Deutschland verliert – durch einen kurzen Moment einer Reihe von Fehlern. Es war ein streckenweise hochklassiges Spiel. Doch jetzt am Ende muss man kurz mal Einhalt gebieten, dem Herumgesülze über die Stimmung, die Kulisse etc.. Unerfreulichkeiten, wie die Chancenverwertung, die ja nicht jetzt plötzlich auf einmal in diesem Spiel ein Problem der Deutschen war, oder auch die Spieleingriffe von Silvia Neid sollten nicht mit einem solchen Übermaß an Lobbyismus und Pathos übergangen werden – Verrat am gesunden Fußballverstand. Dieses Spiel war Werbung für den Frauenfußball. Am Ende leider schlechte. Auch wenn es (bei all der Euphorie) keiner zugeben wollte.

Die Unmittelbarkeit dieser Coaching Zone dient auf der einen Seite dem Versuch einer direkten Verfolgung der (heute so beliebten) „Stimmung“skurve eines Spiels, bei dem es auf und ab ging. Auf der anderen Seite gibt es diesmal weniger den Anspruch einer distanzierten Analyse. Also vielleicht, mit Hans-Ulrich Gumbrecht gesprochen, ein Versuch den „Moment der fokussierten Intensität“ in Schrift übertragen, auch in ehrlicher Dedikation an die beiden besten Mannschaften der Frauenfußballgeschichte.

Dienstag, 27. Oktober 2009

denk.anstoß: Warum machen Sie das?

Im Zeit Leben Magazin gibt es auf der letzten Seite im Laufe der letzten Jahren immer wieder schwierige Formate. Die zum Husten anregende wöchentliche Zigarette von Giovanni Di Lorenzo mit Helmut Schmidt wurde im März 2009 von Roger Willemsen abgelöst. Der ehemalige Museumswächter fragt jetzt jede Woche eine Person: “Warum machen Sie das?” --- Könnte man ihn glatt jede Woche zurückfragen. Aber diese Woche befragte er Lira Bajramaj und das regt ausnahmsweise mal zum Lesen an.

Der Erkenntnisgewinn ist wie gewohnt mittelmäßig. Ob der Knappheit muss Willemsen sich auf einzelne Aspekte beschränken – im Zentrum dieses Interviews verspricht er diesmal die „Tusse“: “Frau Bajramaj, Sie sind Fußballerin und nennen sich `Tusse´ - warum machen Sie das?” Tja. Es muss ja nicht immer eine Antwort auf die Frage sein, aber sollte man als Interviewender seine eigenen Fragen nicht so ernst nehmen, dass man sich zumindest während des Interviews damit beschäftigt, was man mit ihnen mal erfahren wollte? “Und wann wurde aus der Straßenfußballerin die Tusse - wie Sie sich selbst nennen?” fragt Willemsen irgendwann auf halber Strecke, nur um über Bajramajs Wunsch nach einem Kosmetikstudio, dem Torwandschießen in Stückelschuhen schnell zur Frage nach dem Kopftuch vorzustoßen. Auf der Strecke geblieben, die Tusse.
Irgendwie seltsam, die Begriffe „Fußballerin“ und „Tusse“ nebeneinander, sogar groß und fett in einer Überschrift. Fußballerin und Tusse. Keine gewohnte Verbindung. Vor einigen Jahren noch standen vielmehr die fußballspielenden “männlichen Frauen” im Vordergrund, die “aussehen wie Jungs” und mit Sicherheit “Lesben” wenn nicht sogar “Kampflesben mit Lederjacken” waren - die Stylingfähigkeiten jedenfalls noch weit entfernt. So scheint es. Doch warum eigentlich interessiert uns das?

Ein kleiner Denkanstoß von Pierre Bourdieu:
„Die männliche Herrschaft konstituiert die Frauen als symbolische Objekte, deren Sein ein Wahrgenommenwerden ist. Das hat zur Folge, dass die Frauen in einen andauerenden Zustand körperlicher Verunsicherung oder, besser, symbolischer Abhängigkeit versetzt werden: Sie existieren zuallererst für und durch die Blicke der anderen, d.h. als liebenswürdige, attraktive, verfügbare Objekte. (...) Durch das intensive Betreiben einer Sportart kommt es bei den Frauen zu einer tiefgreifenden Veränderung der subjektiven und objektiven Erfahrung des Körpers: Er hört auf, bloß für andere oder, was auf dasselbe hinausläuft, für den Spiegel zu existieren (...). Er verwandelt sich aus einem Körper für andere in einen Körper für sich, aus einem passiven, der Aktion der anderen ausgesetzten Körper in einen aktiven, selbsttätigen Körper. In den Augen der Männer freilich erscheinen diejenigen, die das stillschweigende Disponibilitätsverhältnis aufkündigen und sich so gleichsam ihr Körperbild und damit ihren Körper wieder aneignen, als nicht weiblich, ja, als lesbisch – wobei die Behauptung der intellektuellen Unabhängigkeit, die sich ja auch körperlich äußert, ganz ähnliche Effekte zeitigt.“ (Die männliche Herrschaft, Seite 119f.)

Wie populär ist der Frauenfußball in Deutschland, seit Lira und Anja ihre schwarz-rot-goldenen Fingernägel in die BILD Zeitung hielten! Funktioniert die Emanzipation des Frauenfußballs nur über die “sicheren” Labels der Weiblichkeit (Kosmetik, Männer und Schokolade)? Ist es sozusagen eine “Errungenschaft” des Frauenfußball, dass eine Nationalspielerin die Eigenschaften einer “Tusse” erfüllen kann? Bedeutet mehr Anerkennung gleichzeitig Rücküberführung in den sicheren Hafen der weiblichen heterosexuellen Körpernorm, genauer gesagt: die Fähigkeit als Model durchzugehen?

Und die Spielfeldschnitte fragt:
„Herr Willemsen, wenn sie Lira Bajramaj danach fragen möchten, warum sie sich eine Tusse nennt und sie dann nicht fragen, machen sie sie dann nicht selbst zu einer? Warum machen Sie das?“

Samstag, 17. Oktober 2009

My b/log has something to tell you about... es bedeutet irgendwas, aber ich weiß nicht was.

Der FFC Frankfurt hat Trainer Günter Wegmann am 14.Oktober entlassen.

Eine Nachricht, die niemanden heutzutage mehr groß umhaut. Trainerentlassungen sind im Profifußball schließlich an der Tagesordnung. Rät man drei Vereine aus der Bundesliga ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass bei einem Hans Meier der alte oder neue Trainer ist.

Es handelt sich bei der aktuellen Entlassung, so möchte man meinen, eindeutig um eine Kausalkette: Bevor Wegmann nach Frankfurt kam, war Frankfurt die uneingeschränkte Königin des deutschen Frauenfußballs; mit Wegmann spielte man die erste Saison (im Vergleich) mieserabel und es gelang nur der 4. Platz inklusive des Verpassens der neuen Champions League; am 4. Spieltag der neuen Saison sieht es nicht besser aus, dazu stehen wichtige Spiele in den KO-Runden an PLUS die Stimmung zwischen Trainer und Mannschaft stimmen laut Siegfried Dietrich nicht mehr; Ergo: Entlassung des Trainers in der Hoffnung durch die Zäsur eine irgendwie geartete Kehrtwende einzuleiten.

Klingt logisch, oder?

Trotzdem ist die Entlassung von Wegmann ein Ereignis. Und zwar im guten alten Heidegger`schen Sinne, dass es sich nicht unter Allgemeinbegriffen fassen lässt, aber konstitutiv ist für das Sein. Die Entlassung hat etwas grundlegendes im Frauenfußball verändert. Was das ist, weiß ich nicht. Im Profifußball sind regelmäßige Trainerentlassungen schließlich bereits unverzichtbarer Teil des Showgeschäfts. Läuft es auf dem Platz nicht gut, muss der Trainer gehen. Im Frauenfußball sind Trainerentlassungen dagegen (noch) rar gesät. Deshalb muss die Frage lauten: ist die Entlassung von Wegmann ein sichtbar gemachter Schritt des Frauenfußballs Richtung Professionalisierung? Dass es am Ort liegt ist wohl eher abwegig (Eintracht Frankfurt hält den Rekord an Trainerentlassungen). Man kann aber wahrscheinlich davon ausgehen, dass es noch nicht so viele Entlassungen im Frauenfußball gegeben hat, weil vielen Vereinen schlicht die Mittel fehlen den Trainer auszubezahlen. Frankfurt setzt ein erstes Zeichen, nicht nur in Sachen Personalpolitik, sondern auch im noch jungen Feld der Namenpolitik. Dass es Spielerinnen mit bekanntem Namen geben muss, ist für die Topclubs mittlerweile klar. Jetzt geht der Trend wohl auch auf die Trainer über. Das führt vielleicht sogar bald dazu, dass die arbeitslosen Namensträger aus dem Herrenbereich nach den vakanten Stellen im Frauenfußball lechzen. Lothar Matthäus hat ja nach der Absage von Berlin im nächsten Jahr noch eine Menge freie Termine im Kalender.

Warum Siegfried Dietrich erst jetzt darauf gekommen ist, dass es mit der Chemie zwischen Trainer und Mannschaft nicht mehr gestimmt hat, spricht entweder von seiner Nähe zum Trainingsgeschehen oder von einer guten Kenntnis der gängigen Entlassungsplatitüden. Der Scheingrund des mangelnden Erfolges kommt dabei vor dem Befinden der Spielerinnen. Mit Erfolg und trotz mieser Stimmung - wäre Wegmann dann noch Trainer?

Dass der Trend des “Hire and Fire” eigentlich gar nichts bringt, hält viele Funktionäre nicht davon ab sich dem Aktion-Reaktion Prinzip zu unterwerfen, damit ihnen die Sponsoren nicht weglaufen.
Zitat: "Der Rauswurf eines Cheftrainers werfe immer aber auch ein Schatten auf die Vereinsführung. «Eine Trainerentlassung ist auch ein Eingeständnis dessen, dass man selbst nicht alles richtig gemacht hat», sagte Schindelmeiser. In der Regel könne man den Misserfolg nicht allein dem Coach anlasten, «aber man glaubt, durch den Wechsel am ehesten eine Veränderung herbeiführen zu können»."

Die nächsten Spiele werden zeigen, ob Wegmanns Weggang ein Segen oder die Traufe für den FFC sein werden. Die Entlassung bedeutet irgendetwas; aber ich weiß nicht was.