Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Samstag, 23. Januar 2010

My b/log has something to tell you about... Der Hallenpokal 2010: Skizze eines informationslosen Tages.

Wo geht´s hier bitte nach Magdeburg?

Ca. 9:30 Uhr: Begrüßung der teilnehmenden Teams. Wahrscheinlich stehen jetzt die Besten Deutschlands schön aufgereiht auf dem Spielfeld. Annike Krahn neben Lira Bajramaj, Simone Laudehr hat rivalisierenden Augenkontakt mit Sandra Smisek. Die Spannung in der Halle ist zum zerschneiden. Leider bekommt man davon nichts mit, stattdessen die Aufreihung von Kitzbühel der Gruggers und Büchels und Streitbergers und Weibrechts und wie die ganzen Wintersportler heißen. Statt hitzigem Hallenfußball nur unterkühlte Stürze von Schneehängen...

10:00 Uhr: das Turnier beginnt. Überflieger Potsdam fegt wahrscheinlich gerade Essen-Schönebeck aus der Halle. Es geht gerade so weiter mit den Topspielen: Duisburg gegen Bayern, Frankfurt gegen Wolfsburg. Leider bekommt man davon immer noch nichts mit. Die ARD ist unwiederbringlich in Italien festgefroren, Eurosport will den Live-Wetterwechsel-Rekord brechen (von Tennis in Australien zu Ski Alpin in Kitzbühel und zurück), die DSF-Redaktion macht Pause und zeigt nur (Männer-)Fußball-Wiederholungen und die Dritten spulen ihre Lokalen Tier/Koch/Wissens-Sendungen ab.

12:30 Uhr: nach zweieinhalbstunden öder Schneeabfahrten ein neuer Versuch Informationen zu bekommen. Da ich gerade kein Internet habe, bleibt: der Videotext. Die ARD bietet auf Seite 294 nur eine läppische Vorschau auf den nächsten Spieltag am 13. Februar. Auf dem ZDF läuft die Kochsendung “Die Küchenschlacht”. Im Videotext-Dschungel stoße ich schließlich auf Seite 460 auf die Rubrik “Ausland/Frauen”. Auch hier nur der nächste Spieltag, aber diesmal am 14. Februar. Im NDR läuft eine Dokumentation zum Thema Weltreisen. Auch hier nur der nächste Spieltag (14.Februar). Es ist mittlerweile 12:39, der WDR zeigt eine unsägliche Ausgabe von Quarks&Co., auf Videotext Seite 601 prahlt man mit “Übersicht - alle Ticker”. Von Frauenfußball natürlich keine Spur, schließlich auf Seite 255 der nächste Spieltag (13. Februar). Der MDR zeigt Lindenstrasse und kündigt auf Seite 249 auch nur den nächsten Spieltag an (13. Februar), dafür gibt es auf der Sport-Übersicht-Seite die saisonalen Kategorien “Wintersport” und “Brieftauben”. Es ist 12:50 und ich habe genug vom Videotext. Unbegreiflich wie mein Opa es jeden Tag hinbekommt sich durch diesen verpixelten Informationspool zu navigieren, als wäre es ein High-Speed-DSL Anschluss.

In der Januar Ausgabe des 11 Freunde Magazins unternimmt ein Engländer in Deutschland einen Selbstversuch: ein Wochenende lang alles gucken, was mit Fußball zu tun hat. “Clockwork Bundesliga” nennt er das, am Ende qualvolle, Experiment. Fast rund um die Uhr kann er wählen zwischen Live-Übertragungen oder Wiederholungen ganzer Spiele von Regionalliga bis Bundesliga, zusätzlich die Sportschau und die sämtlichen endlosen Expertenrunden. Ein Wochenende des Grauens also. Ein Frauenfußball-Fan aber kann wahrlich nur von einem solchen Ausmaß an Information träumen. Wo die einen im Überfluss schwimmen, herrscht bei den anderen Ebbe. Jedes Fitzelchen Live-Bilder aus der Bundesliga ist ein absolute Höhepunkt einer Frauenfußball-Woche. Die Nationalmannschaft hat dahin gehen wirklich eine Sonderstellung. Dass die Bundesliga die TV-Sender nicht sonderlich interessiert ist zu Teilen auch Verdienst der DFB-Politik. Theo Zwanziger kündigte jüngst das “Frauen-Power Jahr” ab dem 13. Juli 2010 an, nach Ende der Männer-WM in Südafrika. Dass es schon heute und sowieso jedes Wochenende hochkarätigen “Frauen-Power”-Fußball in der Bundesliga gibt, fällt einfach unter den Tisch. Dabei könnte gerade 2010 in punkto Bundesliga-Werbung viel getan werden, da der Schatten des Nationalteams nicht so lang ist. Zwar sollen ab Februar Spiele im Pay-TV übertragen werden (sportdigital) und auch DFB-TV will sein Angebot ausbauen. Was daraus wird bleibt jedoch abzuwarten... Das tröstet jedenfalls nicht über das Versäumnis des Hallenpokals hinweg.

15:00 Uhr: ich halte es nicht mehr aus. Auf ins W-Lan Cafe. Informationen sind spärlich. Doch eine Instanz lässt mich mal wieder nicht im Stich: Der Potsdamer Liveticker ist zuverlässig wie immer. Alle Ergebnisse, alle Tore, bei den Turbine Spielen sogar kleine Spielberichte. Auch der FC Bayern informiert über Twitter. Mal ehrlich, liebe Regionalsender und Sportinformations-Seiten: so schwer kann es doch wirklich nicht sein! Die offizielle Zuschauerzahl: 4341. Klingt nach guter Stimmung! Überraschend tatsächlich der USV Jena, der schon wieder den HSV im Viertelfinale deklassiert... Im Finale gewinnt Potsdam gegen Bayern und wird zum dritten mal Hallenpokalsieger.

Die einzigen Livebilder gibt es bei “Sport im Osten” im MDR. Doch der Ankündigungstext macht schon so wenig Spaß, dass ich nicht einschalte. Statt dessen kommt am Ende dieses informationslosen Tages die Log-Lady zu Wort:
“Hello again. Can you see through a wall? Can you see through human
skin? X-rays see through solid, or so-called solid objects. There
are things in life that exist, and yet our eyes cannot see them.
Have you ever seen something startling that others cannot see? Why
are some things kept from our vision? Is life a puzzle?”

Samstag, 9. Januar 2010

denk.anstoß: Frauenfußball - der lange Weg zur Anerkennung


Das Buch "Frauenfußball - der lange Weg zur Anerkennung" von Rainer Hennies und Daniel Meuren liegt seit Oktober auf meinem Schreibtisch. Es liegt so da. Ab und zu habe ich es mal zur Hand genommen und darin rumgeblättert. Wirklich länger drin gelesen habe ich nicht. Die Texte regen nicht zum lange lesen an. Es sind eher Texte zum mal-drin-rumblättern. Dann lege ich es wieder zurück. Zum Inhalt braucht man nicht viel zu sagen, darüber ist woanders schon geschrieben worden. Doch obwohl ich in dem Buch bisher nicht mehr gemacht habe, als zu blättern, liegt es immer noch auf meinem Schreibtisch. Es liegt so da. Und ab und zu sehe ich es. Sehe das Cover. Irgendwas an diesem Cover lässt mich nicht los. Ich weiß auch was. Das Bild und das Wort "Anerkennung".

Das Buchcover ist rot. Mittig nimmt aber den meisten Raum eine Sportfotografie ein. Darauf sind zwei Spielerinnen in Aktion zu sehen. Die eine hat den Ball gerade geschossen, die andere sich in die Schussbahn geworfen. Über dem Bild stehen die Autoren und groß FRAUENFUSSBALL. Unter dem Bild steht der Untertitel: Der lange Weg zur ANERKENNUNG.
Wenn ich das Cover so betrachte, denke ich, dass es wie ein barockes Emblem aufgebaut ist. Emblem; der Begriff umschließt drei Komponenten: Zuallererst benötigt ein Emblem die Pictura (Icon, Imago, Symbolon), also ein Bild, zum Beispiel von Pflanzen oder Tieren aber auch Szenen des menschlichen Lebens oder mythologische Figuren. Als nächstes braucht das Emblem eine sogenannte Inscriptio, ein Motto. Und drittens eine Subscriptio, eine Deutung der Pictura. Letztendlich besteht das Emblem aus einem Bildteil, dem ikonischen Zeichenelement und einem Schriftteil, dem sprachlichen Zeichenelement.

Das jedenfalls ist die Definition eines Emblems, wie es im Barock vielfach zur Anwendung kam. Die Emblematik war zu der Zeit übrigens ein weit verbreitetes Verfahren um der Vergänglichkeits- und Ich-Problematik entgegenzuwirken, indem man die vergänglichen Prozesse durch die emblematische Bedeutungskonstitution in die Ewigkeit zu retten suchte. Nach Albert Schöne erfüllte das Emblem verherrlichende, moralisierende und didaktische Aufgaben durch alle Gesellschaftsschichten hindurch.

Was ist nun aber das Buchcover von Hennies und Meuren für eine Art Emblem? Ist es überhaupt ein Emblem? Vom Aufbau her erfüllt es die Regeln der Emblematik, es besteht aus Bild, Überschrift (man könnte auch Motto sagen), sowie Untertitel. Zunächst zum Bild: Die Spielerin auf dem Bild, die den Schuß abgibt, ist die deutsche Nationalspielerin Kim Kulig. Da die Bildschärfe auf sie eingestellt ist, bildet sie den zentralen Körper des Covers. Ihre Präsenz schiebt sich nicht nur im Foto in den Vordergrund, auch das Schriftbild von Titel und Untertitel werden durch sie unscheinbarer. Kim Kulig als Symbol für den Frauenfußball. Kaum ein anderes Bild hat seit 2009 für den Frauenfußball solche Symbolkraft. Kim Kulig ist wohl die erste Protagonistin des Frauenfußballs, die in den Medien ein Image bekam, über die jeder sprach, die auf allen Covern vorkam. Die Nachfolgerin von Renate Lingor (Lingor? Wer war eigentlich nochmal Lingor?) im Mittelfeld der deutschen Nationalmannschaft wurde durch ihren fulminanten Einstieg in die Nationalmannschaft 2009 als Hoffnung des deutschen Frauenfußballs gefeiert. Man könnte fast sagen, Kim Kulig ist eine Ikone des Frauenfußballs, eine echte Medienfigur. Hier, auf dem Deckel des ersten Frauenfußballkompendiums: Ein Ikon, eine Ikone. Neben der modernen Bedeutung der Bezeichnung "Ikone" kann man die ursprüngliche Bedeutung nicht beiseite lassen: Ikonen nennt man auch die Heiligenbilder in Kirchen, die eine Verbindung zwischen dem Betrachter und Gott herstellen sollten. Christusikonen, Marienikonen - hier nun die Kul(ig)ikone? Kim Kulig also als zentrales Zeichen im Bild. Die Überschrift (Inscriptio) des Bildes: FRAUENFUSSBALL. Damit ist allen klar, worum es geht. Großgeschrieben wie ein Schrei. Kulig quasi als Galionsfigur der "MS FRAUENFUSSBALL". Der Untertitel: "Der lange Weg zur ANERKENNUNG". Wohl keine Subscriptio im Sinne der Definition. Jedenfalls würde man nicht behaupten Kulig hätte auf dem Bild einen langen Weg hinter sich und würde nun durch den Abschuss ihrer letzten Gegnerin ihr Ziel "Anerkennung" erreichen. Trotzdem schafft der Untertitel ganz im Sinne des Emblems gewisse Sinnzusammenhänge. Zum Beispiel durch seine Schreibweise sofort die Verbindung von Frauenfußball und Anerkennung (beides groß geschrieben). Anerkennung ist dabei ein schön gewähltes Wort, denn, wie Goethe schon wusste: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen." Und bloß geduldet wurde der Frauenfußball schließlich lang genug. Doch gleichzeitig impliziert der Satz und diese Verbindung, dass die Anerkennung für den Frauenfußball jetzt endlich vollendet ist (Kim Kulig sei Dank!). Heikle Behauptung auf dem Cover des bislang einzigen Universalwerks über den Frauenfußballs. Ist der Kampf um Anerkennung somit beendet? Die Autoren müssten es besser wissen. Selbst wenn die MS Frauenfußball in die Häfen Deutschlands einläuft heißt das lange nicht, dass für Kulig und Co. ein Anleger frei ist.

Und damit sind wir auch schon bei der Auslegung des so schön hergeleiteten Emblems: Meuren und Hennies nehmen sich ganz schön viel vor (siehe Inscriptio), sehen dann aber die Spielfeldränder vor lauter Kuligs nicht und retten sich schnell in den sicheren Hafen des Anerkennens. Ähnliches passiert dann im Buch selbst: mit Schallgeschwindigkeit düsen beide entlang der Frauenfußball-Küste ohne länger als nötig irgendwo anzulegen und stets bedacht den Stürmen und Meeresunruhen aus dem Weg zu gehen. Über alldem steht Vorzeigestar Kim Kulig, die sich eines Tages bedanken wird bei all denen, die daran beteiligt waren sie in den höchsten Olymp des Frauenfußballs zu katapultieren - so wie dieses Coverfoto. Ihr Gesichtsausdruck spricht dahingehend Bände.

Montag, 4. Januar 2010

Ecke des Monats: Zitat aus dem Kicker


"Sometimes ideas, like men, jump up and say `hello´." (The Log Lady, Twin Peaks)