Das Projekt Spielfeldschnitte
Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)
Samstag, 3. April 2010
Im Abseits: 39 Minuten Bundesliga
Spielfeldschnitte: Hanna Wernecke, unsere LeserInnen werden dich kaum kennen. Einige Sätze zu dir?
Hanna: Ich bin 24 Jahre alt und erst, muss man ja fast sagen, seit 14 Jahren Fußballerin. Ich habe ziemlich spät angefangen und zwar zusammen mit meinem Bruder, der 4 ½ Jahr jünger ist als ich. Jetzt arbeite ich als freie Künstlerin und Lichtdesignerin. Momentan lebe ich in Hamburg.
Spielfeldschnitte: Wir kennen dich als die Spielerin mit den wenigsten Minuten Einsatzzeit in der Bundesliga. 39, um genau zu sein. Wie kam es dazu?
Hanna: Mmm. Eine Geschichte aus dem Leben der Frauenbundesliga. Im Frühjahr 2006 kam es zu meinem ersten Einsatz für den FSV in der 1. Bundesliga, es folgten nur noch zwei weitere. Der FSV Frankfurt befand sich damals in Personalschwierigkeiten. Es gab viele Verletzungen. Viele Spielerinnen hatten das Team unter anderem wegen der Vereinspolitik verlassen. Über meine Trainerinnentätigkeit bei einer Mädchenmannschaft in Gießen lernte ich den damaligen Co-Trainer kennen. Weil der Cheftrainer oft nur 1-2 Auswechselspielerinnen zur Verfügung hatte, fragten sie mich schließlich, ob ich aushelfen könnte.
Spielfeldschnitte: Wie war Dein erstes Bundesligaspiel?
Hanna: Unspektakulär. Zuerst sah es so aus, als wenn ich mein Debüt gegen den FFC Frankfurt im Stadion am Brentanobad geben könnte. Gegen die ganz Großen und das auch noch im Derby! Leider gab es Probleme mit meiner Spielberechtigung und ich durfte nur zuschauen. Letztendlich fand ich das auch nicht so schlimm, ich glaube wir verloren 13:0 (A. d. R.: Endstand war 17:0).
Spielfeldschnitte: Was war damals los beim FSV?
Hanna: Ganz genau kann ich das gar nicht rekonstruieren. Aber die große Zeit des FSV war unbestreitbar vorbei. Mitten in der Saison teilte der Vorstand der Mannschaft mit, dass die Damen aufgelöst werden sollte. Das hieß also die Lizenz abgeben und das Team ganz aus dem Spielbetrieb zu nehmen. Das hat natürlich viele geschockt, trotz des deutlichen Klassenunterschieds wollten einige der treuen Spielerinnen auch in der 2. Liga weitermachen.
Spielfeldschnitte: Warum wollte der Verein die Lizenz nicht behalten?
Hanna: Der Fokus lag auf der damals noch drittklassigen Herrenmannschaft. Der Unterhalt der Damen wurde zu teuer und zu aufwändig. Außerdem konnte man von den Damen keine Gewinne im Sinne von Einnahmen erwarten.
Spielfeldschnitte: Auch ein Hauch von Diskriminierung?
Hanna: Als Außenstehende schwer zu sagen. Aber ich würde schon sagen, dass alle Beteiligten ungerecht behandelt wurden. Das geht von den Spielerinnen bis zu den Trainern. Vor allem an Ehrlichkeit hat es gemangelt. Ich war ja schon einiges an Vereinsmeierei gewöhnt, aber das was da passierte übertraf alles.
Spielfeldschnitte: Wenn man von Deiner Erfahrung ausgehend die zentrale Forderung nach Professionalisierung ins Auge fasst: Wie weit ist die Bundesliga heute?
Hanna: Ich glaube die Bundesliga formt sich langsam zu etwas. Man könnte fast sagen, dass sie langsam ein Gesicht bekommt. Das zum Glück auch immer mehr Leute anschauen wollen.
Spielfeldschnitte: Was für ein Gesicht?
Hanna: So genau kann man das noch nicht sagen. Aber das Niveau ist, auch wenn es nicht so wirkt, wirklich zusammengerückt. Neben dem FFC Frankfurt spielen jetzt auch Potsdam, Duisburg, Wolfsburg und München oben mit. Die Entwicklung ist dabei unheimlich schnell, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Die Spielerinnen, die vor 10 Jahren ihr Debüt gaben, würden heutzutage gar nicht zu einem Debüt kommen. Und die, die heute ihr erstes Spiel machen, würden in 10 Jahren nicht die Chance bekommen. Ich hätte mit meinem Niveau von 2006 vielleicht 1996 noch mitspielen können, aber eigentlich nicht 2006 und schon gar nicht 2010.
Spielfeldschnitte: Der FSV war doch über Jahre ein professionelles Team.
Hanna: Kommt drauf an, wie man professionell definiert. Den VIP und Pressebereich schmissen die Mutter einer Spielerin und die Mutter des Co-Trainers. Die Ausrüstung war abgenutzt und ihr Trikot musste jede Spielerin selbst waschen. Der Etat für Auswärtsspiele war klein, ich weiß nicht ob er sogar verkleinert wurde. Der früher immer angemietete Mannschaftsbus würde jedenfalls gestrichen und für einen halb so großen ersetzt, geschlafen wurde in der Jugendherberge und Essen musste jede selbst bezahlen. Wobei ich nicht sagen will, dass Smisek und Co. vielleicht früher beim FSV ihre Sachen nicht auch selbst waschen mussten. Nur heute wäre das nicht mehr denkbar. Der FSV hat den Anschluss verpasst.
Spielfeldschnitte: Wie ist deine Fußballkarriere nach 2006 weitergegangen?
Hanna: Im Sinne des aktiven Spielens: gar nicht. Trotzdem bin ich dem Fußball auf andere Weise treu geblieben. Seit 2009 betreibe ich einen Blog über den Frauenfußball. Da das Feld der medialen Repräsentation im Frauenfußball chronisch unausgereizt ist, gibt es viele Bereiche, in denen man sich sehr verdient machen kann. Wie seht ihr die Entwicklung?
Spielfeldschnitte: Die Entwicklung des Frauenfußballs scheint erstmal positiv. Nicht nur, dass man tatsächlich die meisten Nationalmannschaftsspiele im Fernsehen verfolgen kann, sich der Blick der Kamera auf die Spielerinnen professionalisiert hat und mehr Menschen ins Stadion kommen - in tatsächliche Stadien! Aber dazu gehören die Rückschritte genauso dazu: Bundesliga interessiert niemanden, der Slogan der WM 2011 ist „20Elf von seiner schönsten Seite“ und beim letzten Länderspiel in Duisburg ist ein Zweitligastadion nicht mal zur Hälfte voll gewesen. Man muss sich also neben aller Euphorie darüber, dass fußballspielende Frauen wenigstens auf der Ebene der Nationalmannschaft ernst genommen werden, immer wieder danach fragen: Warum wird z. B. Frauenfußball im Vergleich zum Frauenhandball wesentlich weniger rezipiert? Warum ist Fußball im Gegensatz zu anderen Sportarten wie Rudern oder Fechten in Deutschland geschlechtlich so unglaublich konnotiert?
Hanna: Wenn ihr das sagt: Meint ihr, dass Frauenfußball auch mal cool werden könnte, also auch eine Art Life-Style werden wie z. B. Fan von St. Pauli sein? Underdog und politisch obendrein?
Spielfeldschnitte: Das wäre vorstellbar. Derzeit gibt es keine wirklich offizielle Fankultur, die schönste Seite von 20Elf z. B. eine totale Kopfgeburt. Inoffiziell gibt es eine große Szene, aber da fragt man sich manchmal, ob die lieber in ihren Vorgärten bleiben würden. Während der 1. FFC ja fast schon ein Stadion bespielt, bolzen die HSV Frauen zwischen den Gartenzwergen ihrer Schrebergartennachbarn. Wer den Platz nicht kennt, findet ihn zwischen den ganzen Gartenhäuschen nicht... Und das Internet ist dann doch noch mal was anderes als eine Fangemeinde vor Ort. Beim Spiel HSV gegen Jena bestand der Jena-Block z. B. aus fünf Frauen. Das versteht man dann überhaupt nicht mehr, wenn man auf der Ebene von 40.000 Leute-Stadien Länderspiel-Pläne macht. Aber es hängt alles mit allem zusammen. Aber wir interessieren uns nicht so sehr für den Schritt, Frauenfußball überhaupt sichtbar und attraktiv zu machen für ein Massenpublikum, sondern eher für eine politische Sichtbarkeit. Und das geht nicht mit Hymnen wie „Ein Schuss und die Pille ist drin“. Die WM 2011 stellt allerdings, da machen wir uns nichts vor, die generelle Frage.
Hanna: Braucht es dafür die biersaufende grölende Frau?
Spielfeldschnitte: Du meinst im Gegensatz zu der Idee des WM OK: Frauenfußball, das Event für die ganze Familie? Im Gegenteil: Es wäre doch eigentlich super, wenn ein Rudel aus grölenden, besoffenen Langhaarmüttern die Stadien bevölkern würde, während genervte Väter zu Hause erstmals ihre Kinder beaufsichtigen würden. Nein, Scherz beiseite, was ist die Frage?
Hanna: Naja, wer ist denn der Zuschauer vom Frauenfußball?
Spielfeldschnitte: Tja, das wird sich noch herausstellen. Um diese Frage quasi empirisch zu erforschen, werden wir ab sofort auch Live-Übertragungen organisieren: Am 22.4. z. B. schauen wir das Spiel Deutschland gegen Schweden gemeinsam mit allen, die vorbei kommen in der Astra Stube in Hamburg. Ab 15.30 Uhr. Mit Bier! Kommst du?
Hanna: Klar. Voll cool!
haha herrlich...
AntwortenLöschenwer war zum Schluss der Interviewer?
AntwortenLöschenSo genau habe ich die Story mit dem FSV Frauenfrankfurt noch nie miterlebt. Feine Sache :)
Oder andersrum gefragt: Wer war der Interviewer am Anfang?!? Grüße!
AntwortenLöschenSausW
AntwortenLöschenGute Frage: Wer ist die Zielgruppe von FF?
Vielleicht müssen wir mal sagen: Es gibt keine! Wenn Stadien voll (?) sind, dann doch nur, weil der DFB die Hälfte der Tickets verschenkt und die Vereine anbettelt, doch bitte vorbei zu kommen.
Also: FF interessiert keine Sau - reden wir mal über Zielgruppengrößen, die für Medien und damit für Sponsoren interessant sind.
Das Problem einer schwer zu definierenden Zielgruppe sehe ich auch. Allerdings glaube ich aber, dass es viel Potential gibt. Alleine die wachsende Zahl von Mädchen, die in Vereinen Fußball spielen, bilden potentielle Rezipienten. Man muss sie nur anfangen richtig anzusprechen. Die Art und Weise, wie zu manchen Frauenfußball Spielen mit den Stadionplätzen umgegangen wird ist deprimierend. Aber vielleicht auch nur Zeichen von ratlosem Suchen nach der richtigen Strategie. Bleibt zu hoffen, dass es bald eine geben wird.
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