Deutschland ist Europameisterin!
Das Projekt Spielfeldschnitte gratuliert den Frauen der deutschen Nationalmannschaft zu diesem furiosen siebten Sieg in Folge!
Wer wissen möchte, worum es im Fußball geht, der sollte sich die Performance „22. Juni 1974, 21 Uhr 03“ anschauen, wozu wir jüngst im Millerntor-Stadion in Hamburg die Gelegenheit hatten. Der italienische Tänzer Massimo Furlan spielt eines der ganz großen Spiele: Für 90 Minuten (plus Nationalhymne) schlüpft er in die Rolle von Jürgen Sparwasser, der mit seinem Treffer 1974 die Begegnung BRD gegen DDR zu Gunsten der DDR entschied. Jeden Schritt, jede Geste seiner Figur hat Furlan aus Videoaufzeichnungen rekonstruiert. Er rennt, gestikuliert, schießt. Und ist doch ganz allein auf dem Feld. Einen Ball gibt es auch nicht. Und die Zuschauer? Jeder hat ein kleines Radio bekommen und kann sich entscheiden zwischen den original Kommentaren von seinerzeit aus BRD und DDR. Man mag es nicht glauben, aber die Stimmung ist phantastisch. Jeder weiß, wann das Tor fallen wird, doch wird jeder Sprint auf das Tor von großem Jubel begleitet. Man lacht über die erhobenen Hände beim Foul an einem imaginären Gegner. Man freut sich, wenn man durch den Radiokommentar zu imaginieren im Stande ist, wo Beckenbauer gerade steht. Und wenn es doch langweilig wird, unterhält man sich eben mit den Banknachbarn.
Warum erzähle ich das alles?
Beim Fußball geht es nicht nur um das Spiel, Fußball ist eine Erzählung, ist großes Drama. Nicht von ungefähr findet es in den architektonischen Überbleibseln der antiken Tragödien statt. Die Gesten, die Tore... doch das ist nichts ohne die Erzählungen, die Kommentare, die Stimmung im Publikum, das gemeinschaftliche Erleben. Eine kathartische Reinigung.
Die tragische Heldin dieser EM war Birgit Prinz. Über keine wurde soviel gesprochen, diskutiert, gerätselt, gewütet. Die Frauenfußballcommunity glaubte sich ihrer Ikone beraubt oder fühlte sich berufen, sie selbst zu stürzen. Gestern schoss Birgit Prinz in der 20. Minute das 1:0 gegen England. Es war neben dem Anschlusstreffer von Simone Laudehr gegen Norwegen meiner Meinung nach das wichtigste Tor in diesem Turnier. Doch niemand hat so gut wie Birgit Prinz verstanden, dass es hier nicht um Tore geht. Im Interview direkt nach dem Spiel sagte sie, Tore wären für sie nicht der Gradmesser, ob sie gut oder schlecht gespielt habe.
Worum also geht es im Fußball? Es geht darum, dass wir als Zuschauende gemeinschaftlich an einer ganz einfachen wie unglaublich komplexen Geschichte teilhaben können, die für uns geschrieben wird und die wir selbst schreiben. Deswegen widmet sich diese Coaching Zone auch keiner eigentlichen Spielanalyse, sondern blickt vielmehr auf die Geschichte und die Geschichten der EM, um die es im gestrigen Spiel auch und eigentlich ging. Birgit Prinzist die kantige Heldin dieser Geschichte(n), die immer wieder betont, dass sie keine Projektionsfläche sein möchte. Sie würde nie ihre schwarz-rot-gold lackierten Fingernägel in die BILD halten (Bajramaj/Mittag) und gleicht auch sonst wenig den inzwischen herangewachsenen Vorzeigefrauen des deutschen Frauenfußballs. Das scheinen Gründe, weshalb zwischen Presse und ihr, Zuschauern und ihr eine Art Hassliebe existiert, die mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlägt. Doch das sind die wirklichen Helden.
Ob sie bei der WM noch einmal dabei sein wird? Eins ist jedenfalls klar: Eine wie sie wird es so schnell nicht mehr geben.
Es gibt nur eine Birgit Prinz. Das soll mein Schlusspunkt hinter dieser EM sein.
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