Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Dienstag, 8. September 2009

Coaching Zone: Deutschland - Norwegen

Mit einem 3:1 hat die deutsche Frauen-Nationalmannschaft gegen Norwegen gewonnen und wird im Finale England gegenübertreten. Gestern um 19:45 konnte man sich endlich froh erschöpft zurücklehnen und sagen:
das hat wirklich Spaß gemacht!

Sicher mag mancher einwenden, dass die Titelverteidigerinnen ihr Potential nicht ausschöpften, insbesondere die ersten 45 Minuten sahen nach allem anderen als gutem Fußball aus. Und doch war dieses Spiel so anders als die letzten. Es war nicht mehr so sehr ein Arbeitssieg als ein emotionaler Kampf (ein bißchen auch gegen sich selber).

Vielleicht verdankt sich der Spaß an diesem Spiel etwas, was man mit einer guten Dramaturgie beschreiben könnte. So ähnlich wie ein spannender Bogen von Qual, Elend und Antipathie zu Freude, Ekstase und Sympathie. Unglück, Glück und sogar ein glückliches Ende - das ist echte Katharsis!

Was an diesem Spiel soviel Freude machen konnte: es hatte einfach alles!

Eine Halbzeit lang konnte man sich leidenschaftliche ärgern über die vielen Fehlpässe, die unnötigen Ballverluste in der eigenen Hälfte. Man konnte den Sympathieschmerz fühlen, wenn Inka Grings den zu steil gepassten Bällen hinterher sah. Man konnte sich lautstark fragen, wo eigentlich die Doppel6 und Birgit Prinz, wo Behringer und Garefrekes steckten. Das Herz blieb stehen bei jeder Standardsituation der Gegnerinnen in Furcht vor eklatanten Abwehrfehlern. Und zum ersten Mal seit sehr lange wurde einem wieder bewusst, was es heißt, wenn das eigenen Team unter Druck steht.

Silvia Neid sorgte nach Halbzeitpause höchstpersönlich dafür, dass man sich von aller Aufregung nicht so schnell erholen konnte und überforderte, indem sie die vertraute Aufstellung änderte: Garefrekes wechselte auf die rechte Abwehrseite, Mbabi ging ins rechte Mittelfeld, Schmidt wurde ausgewechselt. Garefrekes in der Abwehr? Das hätte man sich nicht träumen lassen. Und doch fühlte es sich sofort erfrischend an, das Ungewohnte, vielleicht weil es sich gen Risiko bewegte und man Risiko von Silvia Neid eigentlich nicht gewöhnt ist.

Mit der Einwechslung von Laudehr und Bajramaj konnte das Gefühlskarussell in Hälfte Zwei gleich weitergehen. Doch jetzt war es leidenschaftliches Anfeuern bei jedem schönen Sprint der Neuen nach vorn. Aufgeregte Freude bei den gelingenden Zusammenspielen, die sich endlich mutiger gestalteten. Und wahre Glückseligkeit über die wunderbar herausgespielten Tore und Torchancen, bei denen auch die passiven Spielerinnen mit exzellentem Raumgefühl glänzten, wie etwa Kulig, die beim 1:1 von Laudehr geistesgegenwärtig den Kopf zurückzog, sowie Grings, die mit derselben Aktion den Raum für Birgit Prinz in der 73. Minute öffnete, die leider ihre guten Chancen heute wieder nicht nutzen konnte.

Man könnte vielleicht auch von einem Einstellungswandel der deutschen Elf sprechen. Von einem kalkulierenden Drang nach Perfektionismus, oft Befindlichkeitsfixiert, gab es gestern einen Wechsel zu aufreibendem Gruppenkampf im Sinne des "Alle für Alle". Metaphorös gesprochen: ein Wandel vom Kapitalismus zum Sozialismus? (Was für ein Zeichen, so kurz vor der Wahl!)

Am Ende müssen wir uns trotzdem zwei Sorgen machen: einmal um Nadine Angerer und desweiteren um Kirsi Heikkinen. Angerer hielt so schlecht wie lange nicht mehr, sah beim Gegentreffer und den anderen Standardsituationen nicht gut aus. Plötzlich konnte man sich auf die einzig wahre Konstante nicht mehr uneingeschränkt verlassen. Positiv an der defensiven Schwäche ist höchstens, dass dadurch mehr Erfolgsdruck auf der Offensive liegt. Die zweite Sorge ist die finnische Schiedsrichterin Kirsi Heikkinen. Vielleicht aus nordischem Freundschaftsgefühl zerpfiff sie stellenweise das Spiel, ließ klare Tätlichkeiten unbeachtet, bestrafte kleinere Nicklichkeiten umso härter und entschied mehrfach wenn der Ball ins Aus ging in die falsche Richtung. Und zwar sehr viel öfter gegen die Deutschen. Positiv an ihrer schlechten Leistung: Silvia Neid zeigte sportlichen Einsatz bis an den Rand der Coaching Zone, sprach die Schiedsrichterin bei Fouls an ihren Spielerinnen immer wieder lautstark an. Solche Emotionen stehen der Bundestrainerin gut, finden wir.

Und für das Finale wünschen wir uns ein deutliches Schack! im deutschen Spiel (Kombination von Zack und Schuß). Und das es wieder so einen Spaß macht.

1 Kommentar:

  1. Hallo, ich hab den Blog hier leider erst vor kurzem entdeckt und bin total begeistert, weil er mir so aus dem Herzen spricht - weiter so! Kann man nichts hinzufügen.
    Gruß,
    Nofi

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