Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Montag, 29. Juli 2013

Coaching Zone: EM Finale Norwegen - Deutschland

  
Das Frauennationalteam ist Europameisterin 2013! Trotz Norwegen, trotz sechs Ausfällen im Vorfeld, trotz Klatschpappenalarm, trotz Fehlpassquote, trotz Wolfgang Niersbach und Bernd Schmelzer. Zum achten Mal also dieser Erfolg und just gibt es Merchandising im DFB-Fanshop, allerdings mit Schreibfehler und besonders schön auch nicht. Egal, ein Happy End zum turbulentem Turnierverlauf. Was bisher geschah:

Mittelgute Spiele gegen die Niederlande und Island, schlechtes Spiel gegen Norwegen, kämpferisches Spiel gegen Italien und Marozsan mit dem kleinen Zeh gegen Schweden. Kurzer Anflug von Schwarzmalerei und Silvia-Neid-Bashing. Eigentlich alle schon seit längerem aus der Puste, aber irgendwie doch weitergelaufen.

Das Finale gegen Norwegen geht zügig und flüssig los. Das DFB-Team mit insgesamt mehr Zug zum Tor, aber beide Teams mit Mut und Druck nach vorn. Lena Lotzen und Simone Laudehr wieder gut beschäftigt mit Rochiererei und Tempo auf den Flanken, auch Marozsan mit gutem Beginn. Nach 25 Minuten offenbart sich dann die erste Enttäuschung des Spiels neben Bernd Schmelzer: Die Schiedsrichterin Cristina Dorcioman. Dorcioman legt sich erstmal mit Nadine Angerer an, erst wegen Gerangel im Strafraum vor einem Eckball und kurz darauf weil ihr Handtuch als gefährlicher Fremdkörper den Torinnenraum verlassen soll. Angerer zurecht stinksauer, in so einem Ton hat wahrscheinlich seit Gerhard Tremmel niemand mehr mit ihr gesprochen. Eine Minute später setzt Dorcioman noch einen drauf und pfeift Elfmeter. Schwalbe oder nicht? Dekkerhus im verdächtigen Andreas-Möller-Stil, eventuell ein wenig berührt oder angeatmet, hebt im Strafraum ab. Okoyino da Mbabi als die verdächtige Atmerin konsterniert. Nadine Angerer mit Halsschlagader bis zur Trainerinnenbank, Silvia Neid mit einer bis zum Tor.

Die Halsschlagader war es dann letzten Endes nicht, die den Strafstoß von Rønning abwehrte, sondern ein großartiger Reflex in Angerers rechtem Fuß. Eigentlich schon auf dem Sprung in die linke Ecke kann sie den mittig geschossenen Ball gerade noch abwehren. Der ganze Frust gegen den Ball geschmissen, Katharsis durch Elfmeterhalten. 

Im Zuge dieser ganzen Aufregung wird das Spiel dann leider hektisch und zerfahren, Fehlpässe und Probleme im Spielaufbau schleichen sich wieder ein. Im Mittelfeld gelingt beiden Teams wenig bis gar nichts Ansehnliches. Okoyino da Mbabi mit zwei Situationen im Strafraum, beim ersten Mal mit Schuss weit übers Tor, beim zweiten Mal mit Kopfball knapp am Lattenkreuz vorbei. Aber auch Norwegen mit Torchancen, in der 32. Minute steht Bartusiak nicht gut und die norwegische Spielmacherin Stensland läuft nach Doppelpass aufs Tor - mit vereinten Kräften können Maier und Angerer sich noch vor den Schuß schmeißen.

Nach der Halbzeit kommt Anja Mittag für Lena Lotzen und trifft mit ihrem ersten Ballkontakt gleich zum 1-0! Okoyino da Mbabi bekommt den Ball auf der linken Seite, läuft gen Tor und spielt im richtigen Moment an den Innenverteidigerinnen vorbei auf Mittag, die den Fuß nur noch hinhalten muss. Eine Kombination wie aus dem Lehrbuch, eventuell auf einem der Lehrgänge geübt? Silv und Uli sind jedenfalls überfroh und Halsschlagadern haben sich auch wieder beruhigt. Das DFB-Team stellt sich nach der Führung aber nicht defensiv auf, sondern rackert weiter Richtung norwegisches Tor. In der 59. Minute aber der Schock: Schiedsrichterin Dorcioman zeigt wieder auf den Elfmeterpunkt! Diesmal war es die technisch starke Hansen, die nach einem Dribbling fiel (oder sich fallen ließ?). Gulbrandsen macht es aber auch nicht besser als ihre Kollegin, Angerer springt in die richtige Ecke und fischt den Ball mit der rechten Hand raus. Fünf Minuten später reißen die Norwegerinnen schon die Arme hoch, aber Hegerberg stand bei ihrem Schuß im Abseits.

Am Ende bemühen sich alle, das Ergebnis festzuhalten. In der 76. Minute kommt Bianca Schmidt für die ausgepowerte Simone Laudehr und Nadine Keßler trifft in der 82. Minute noch den Pfosten. Besonders ihr hätten wir einen Treffer noch gegönnt, die für uns die konstanteste Leistung bei dieser EM gebracht hat. Nadine Angerer mit ihren Superreflexen sicherlich Spielerin dieses Finales.

Die zweite Enttäuschung des Abends, Bernd Schmelzer, hat wirklich einen rabenschwarzen Tag erwischt. Null Inspiration zum Geschehen, statt dessen boulevardeske Privatgeschichten, die schon an RTL2 ZDF-Niveau grenzen. Es wird über den Körperschmuck der Spielerinnen fabuliert, die Mutterschaft der Norwegerin Gulbrandsen in Wim-Thoelke-Manier verwurstet ("Tagsüber Fußball spielen, Abends Windeln wechseln") und schließlich noch über angebliche Nacktfotos der Norwegerin Thorsnes bei Twitter berichtet (worum es eigentlich ging hat er natürlich nicht erzählt).

Doch wie gesagt, trotz trotz trotz. Wir sind natürlich nicht nur zum Meckern gekommen, sondern auch zum Staunen. Wir haben einfach lauter gebrüllt als Bernd Schmelzer und in der 84. Minute waren wir eigentlich immer reif für einen Schnaps wegen des ganzen Fußballs, da beißt die Maus keinen Faden ab. Europameisterin 2013, es wurde hoffentlich gut gefeiert und das ganze gibt sicherlich Kraft für hochklassige sportliche Arbeit.

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