Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Sonntag, 21. Oktober 2012

Coaching Zone: USA - Deutschland

   
Deutschland spielt gegen die USA. Eine "wichtige Standortbestimmung" spricht Doris Fitschen. Standort könnte heißen: am Samstag um 16:30 in Chicago im Rahmen der - Obacht - "Fan Tribute Tour, presented by Panasonic". Könnte aber auch heißen: am Sonntag um 1:00 in Frankfurt im Rahmen der - Obacht - "Schon-etwas-angetrunken-und-eigentlich-zu-müde Tour, presented by Sicilia Bianco". Bestimmung könnte heißen: Wir sind Vizeweltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen, was seid ihr eigentlich? Könnte aber auch heißen: Wir gewinnen mindestens 5, wenn nicht sogar 10 zu Null und wollen mal schauen ob das stimmt, oder ob das an den anderen liegt.

Panasonic sponsort, da sollten die Innovations greifbar herumliegen. Die Aufstellungen: USA: Solo - Mitts, Rampone, Buehler, O Hara - Rapinoe, Boxx, Cheney, Heath - Morgan, Wambach. Deutschland: Angerer – Schmidt, Krahn, Bartusiak, Peter – Odebrecht, Laudehr – Bresonik, Marozsan, Behringer – Mittag. Okay, also, Innovationen eher überblickbar. Ist vielleicht auch ganz gut so mitten in der Nacht.

Und es geht schnell. In der 2. Minute verliert Bianca Schmidt ziemlich unnötig den Ball in der eigenen Hälfte, Annike Krahn attackiert die ballführende Alex Morgan quasi gar nicht und Saskia Bartusiak steht zu weit entfernt von Abby Wambach (Nochmal: zu weit weg von Abby Wambach). 1-0. Anders gesagt: das Nationalteam früh düpiert. Das Spiel dreht sich hin und her und in der 14. Minute kommt es "wie aus dem Nichts" (Claudia Neumann) und Anja Mittag läuft, läuft, läuft noch etwas und schießt ein wirklich schönes Tor. Ausgleich. Also, vielleicht jetzt einfach nochmal von vorne: Was können diese beiden Teams? Es scheint ein vorsichtiges Abtasten zu sein (Phrasenschwein), und in dem Moment des Schreibens fällt mir auf, dass ich das nur schreibe, weil ich das sehr lange nicht mehr gesehen habe. Ich habe mich vorher gefragt, warum solche Freundschaftsspiele, warum sollte ich so lange aufbleiben um mir das anzuschauen? Aber ich sehe seit langer Zeit mal wieder die Mittelfeldspielerinnen in einer Bewegung, die nicht nur Offensive bedeutet, sondern Raumdeckung und Stellungspiel. Und damit insgesamt ein Spiel, in dem Offensive und Defensive sich vermischen und gegenseitig bedingen.

Dann gibt es in der 24. Minute einen guten Pass von Linda Bresonik auf Simone Laudehr, die eine Handbreit am Pfosten vorbeizieht. Das Spiel ist auf dem Zettel und scheint auch für den Rest der Halbzeit wieder ausgeglichen. Also gutes Tempo, immer wieder hitzige Zweikämpfe und auch wenn die krassen Torszenen ausbleiben ein gutes Spiel. "Auch nach Chancen jetzt 2:2" ruft Neumann kurz vor der Halbzeit und wir nicken ob der Uhrzeit kurz mit. Es gab Chancen auf beiden Seiten. Aber interessant ist vor allem was sich hier im Mittelfeld abspielt. Endlich mal geht es nicht nur darum, ob die Abwehr hält oder ob die Stürmerinnen es bringen. Hier geht es darum wie die "Mitte" den Spielzug interpretiert und weiterträgt.

Nicht auf einer sportlichen, sondern eher kulturwissenschaftlichen Ebene interessant: In der Halbzeit gibt es Berichte. Klingt komisch, ist es aber nicht. Sonst immer: Werbung, Vorberichte für die Männer etc.. Aber heute, um 1:50 an einem Sonntag gibt es beim ZDF auf einmal sehr intensive Berichte. Individuelle Interviews, Analysen der letzten Spielerfahrungen. Eigentlich alles was man sonst zur Tageszeit vermisst. Und eigentlich wollte ich jetzt schreiben "ist nicht reißerisch gemeint..." aber das stimmt nicht. Reißerisch: Das ZDF (und eigentlich auch alle anderen) ist sich zu schade dafür bei Tageslicht gute Berichte über die DFB Auswahl zu bringen, in der Nacht scheint es aber plötzlich gar nicht schwer zu fallen. Woran das liegt kann man sich wohl an zwei Fingern abzählen. Letztendlich bin ich froh, denn ich habe auch gezweifelt, ob ich wach bleiben würde. Es ist immerhin schon 2 Uhr Nachts, aber ich genieße Claudia Neumannn, ich genieße die Halbzeitberichte, ich genieße die Aufmerksamkeit. Auch wenn sie anscheinend nur im Dunkeln stattfinden kann.

Zur zweiten Halbzeit nutzt Silvia Neid ihre unbegrenzten Möglichkeiten und wechselt rasch: Wensing für Schmidt, Kulig für Odebrecht, Faißt für Behringer. Von vorne bis hinten jeweils eine Erneuerung. Das Spiel bleibt zunächst ausgeglichen, was natürlich zum anschauen gut ist, aber beim schauen trotzdem heißt: die deutsche Abwehr ist öfter mal auch überfordert von Wambach, Rapinoe und Co. und Anja Mittag wird oftmals im Strafraum allein gelassen. Und auch wenn es einfach nervt, kann man in diesem Spiel auch wieder darauf rumreiten: Die Chancenverwertung. Zum Beispiel die Chancen in der 62. Minute von Verena Faißt oder auch in der 63. Minute von Anja Mittag, die als fahrlässig liegen gelassen erscheinen. Zumal das deutsche Team in größten Teilen in der 2. Halbzeit überlegen auftritt. Augenhöhe, Augenhöhe, Augenhöhe. Das ist es in der zweiten Halbzeit auch. USA - Deutschland, da ist doch Augenhöhe etwas gutes! Macht auch Spaß zuzuschauen, es ist 2:30 und ich bereue es nicht. Und eigentlich fühlt sich das Unentschieden schon abgemacht an, aber in der 84. Minute köpft die eingewechselte Alexandra Popp ganz knapp neben den rechten Pfosten. Aber das wird die letzte Großchance des Spiels werden.

Hat dieses Spiel neue Erkenntnisse gebracht? Ja, man kann mit den aktuellen Topteams mithalten. Aber auch wenn wir unser ganzes Geld in das Phrasenschwein werfen müssen: Es war ein Abtasten, ein Abschreiten, ein Befühlen zwischen den erst- und den zweitplatzierten der Weltrangliste, nichts ernsthaftes, ein gern genommenes Unentschieden. Und umso schwieriger die Entscheidung, ob es sich lohnen wird für das nächste Spiel mitten in der Nacht wach zu bleiben.

1 Kommentar:

  1. Sehe ich auch so. Gute Zusammenfassung!

    Schade, dass Kim Kulig erst mal wieder verletzt ist, sie hat mir sehr gut gefallen in der zweiten Halbzeit.

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