Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Mittwoch, 19. September 2012

Coaching Zone: Deutschland - Türkei

Sooooo,

wenn Sky gerade nach den nächsten Langhaar-Frontfrauen des Fußballkommentatorentums sucht, die ihren Gesprächspartnern (ohne Binnen-I oder Gender Gap) nicht zuhören und am besten noch niemals im Stadion waren, dann nutzen wir dieses Spiel doch mal zum Lackieren unserer Nägel. Vielleicht wird’s ja noch was mit der Karriere.

ANGERER, SCHMIDT, GÖSSLING, BARTUSIAK, PETER, ODEBRECHT, LAUDEHR, BAJRAMAJ, BEHRINGER, MITTAG UND DAMBABI – so schallt es derweil blechern aus dem Öffentlich-Rechtlichen, die nicht an unserer Umfrage teilnehmen konnten, weil sie nicht zu den 100 Gästen des letzten Frauenfußballfestes in Kasachstan gehörten. Heute nun aber wieder. Es sind ja auch immerhin 8000 andere da.

Um was wird nun gespielt? Um die Fahrkarte zur EM? Um mehr als fünf Tore? Um mehr Zuschauer? Um den eigenen Platz im Team?
Auf dem Platz steht eigentlich ein Deluxe-Team. Erstmal Zustimmung. Immerhin steht Linda Bresonik auch am Kommentatorentischchen, Inka Grings wurde gerade verabschiedet, Kim Kuligs Knie muss sich erst noch an die Atmosphäre gewöhnen und wann steht Martina Müller schon mal in der Startformation? Nur um Alexandra Popp kann es einem ein bisschen Weh werden.
Aber während ich dies schreibe, trifft Okoyino (15 Min.) zum 1 : 0. Was soll man da noch sagen? Ist halt schon ne Granate, die Celia. Und Fußballerin des Jahres.

Seit ich mich am Live-Kommentieren übe, steigt meine Bewunderung für Norbert Galeske.
Seine ruhige Stimme gibt mir das Gefühl, hier am richtigen Ort zu sein: Ich höre wichtige Geschichten, die Stille im Stadion wird kompensiert durch eine durchgängige Narration – ja, irgendwie hat er immer was zu sagen und wenn der Ball gerade nicht rollt, dann erfahre ich noch mal, wie Lira Bajramaj bei der WM im eigenen Land ihre Form verlor.
Ich habe irgendwie nichts zu sagen. Ich könnte das alles auch nicht immer wieder so erzählen.
Ich denke an Eintracht Frankfurt.

Warum? Es ist doch bemerkenswert, wie eine solche Mannschaft plötzlich so einen schnellen und kreativen Fußball spielt, an ihren Gegnern wächst, sozusagen aus dem Spiel heraus sich neu entwirft. Wie sehr würde ich das dieser deutschen Frauenmannschaft wünschen. Nicht aus einer Sylvia-Neid-Block-Taktik und ihrer Überlegenheit heraus gegen das Abwehrbollwerk einer – in diesem Fall türkischen – Mannschaft anzurennen. Sondern in einen Spielbetrieb involviert zu sein, der wirkliches Fußballspielen erfordert und mich anders mit Qualitäten einzelner Spielerinnen bekannt macht. Wo man scheitert und daraus neue Taktiken, andere Ideen, neue Stärken entwickeln könnte. Wo ich als Zuschauerin mal wieder überrascht werde.
So bleibt es beim typisch deutschen Angriffsverhalten: über die Außenbahnen werden Bälle nach vorne getragen, die dann per Flanke (Variante A: flach; Variante B: hoch) vor’s Tor getragen werden. (Ich höre in meinem geistigen Ohr Sylvia Neid: „Wir sind körperlich besser als die...“)
Ich will hier niemandes Leistung schmälern. Inzwischen hat Anja Mittag auch zum 2 : 0 erhöht. Aber langsam bin ich es leid, dass Kommentatoren nichts weiter am deutschen Spiel bemängeln (können) als die Chancenverwertung.

Die erste Hälfe endet mit – Norbert Galeske – der „großen Möglichkeit zum 3 : 0“. Die hatte er schon einige Male zuvor ausgerufen, aber Simone Laudehr versenkt den Handelfmeter knapp im linken Eck.

Aber kommen wir zurück zum Versuch des Live-Kommentierens. Die Halbzeitwerbung für das abendliche Bayernspiel gibt mir einiges an Floskeln mit auf den Weg: „das muss in spielerische Wut umgesetzt werden“, „hartes Zweikampfverhalten“, „strotzen vor Selbstbewusstsein“, „aber der ist hart im Nehmen“...

Versuchen wir es also:
Die Deutschen kommen strotzend vor Selbstbewusstsein aus der Kabine zurück. Silvia Neid hat gewechselt, für Lena Odebrecht kommt Kim Kulig. Sie hat ihre lange Verletzungspause in spielerische Wut umgesetzt und wühlt den Rasen auf. Die brennt: hartes Zweikampfverhalten! Aber es ist Mel B, die das Leder aus kurzer Distanz in den Kasten brettert. 4 : 0! 200 Sachen, das Ding – keine Chance für die türkische Keeperin. Bajramaj hat einen heftigen Ellbogencheck abbekommen, das Leder ist hart umkämpft, hier schenkt sich keine was. Ein körperbetontes Spiel, das beide Teams bis an ihre Grenzen gehen lässt. Aber Bajramaj ist hart im Nehmen – einmal nachgeschminkt, schon geht’s weiter. Die Fans johlen – was für eine Atmosphäre. Das deutsche Team im Pressing. Aber auch die Türkinnen kommen, sie wollen sich ihre Außenseiterchance hier nicht entgehen lassen. Bartusiak, Kulig, Mbabi – ahhhhh, da senst eine türkische Mittelfeldspielerin Mbabi im Sechzehner brutal aus den Latschen: Gelbrot! Elfmeter! Wieder Melanie Behringer! Und der Ball ist drin! 5 : 0!
Das Spiel nimmt erneut Fahrt auf: Müller kommt nun für Mittag (64 Min.), ein deutliches Zeichen der Bundestrainerin, die Offensivbemühungen noch einmal zu verstärken. Gute Ballstafetten, kaum einmal Luft zum Atemholen, Behringer mit dem Abschlussversuch – aber nein! „Da wollte sie noch den besser postierten Spieler suchen“ (Galeske) und findet keinen, weil nur Spielerinnen auf dem Platz sind. Doch Martina Müller ackert und ist schon wieder auf dem Weg in den Strafraum. Chancen nun im Minutentakt. Und dann ist der Ball drin: Ohne Rücksicht auf Verluste und eiskalt! Martina Müller!!!! Im 100. Länderspiel!!!! Und kurz danach endlich wieder Celia! Die nun genauso viele Treffer auf dem Buckel hat wie Renate Lingor! Und dann sind aller guten Dinge drei: Kim Kulig, das Knie der Nation, tritt zum dritten Elfmeter an. Und sie hält! Die türkische Torfrau! Was für eine Enttäuschung für Kim Kulig! - Aber auch noch mehr, was in spielerische Wut umgesetzt werden kann.

Ach... Gott sei Dank nur noch ein paar Minuten, ich kann schon fast nicht mehr. Nun schießt auch noch Lira Bajramaj ins Tor, was schön ist für sie, aber mir sind die Superlative ausgegangen. Aber vielleicht ist stille Freude hier auch der richtige Weg. Und in diese platzt der nächste schöne Treffer von Martina Müller. 86 Minute, ich fange schon mal mit dem Runterzählen an.

Und dann ist das Spiel eigentlich aus. Und trotzdem trifft Martina Müller noch mal. Uff.

2 Kommentare:

  1. Silvia, sie heißt immer noch Silvia und nicht Sylvia....

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  2. ich finde euren Spielbericht immer wieder herzerfrischend!!! Bitte weiter so!

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