Heute beginnt die Europameisterschaft der Männer, die nächste Hoffnung der deutschen Fußballfans auf ein Sommermärchen. Vor einem Jahr war dies die von uns sehnlichst herbei gewünschte WM der Frauen im eigenen Land – die im Viertelfinale für die deutschen Frauen ihr jähes Ende fand.
Vor einem Jahr wurden wir im Vorfeld dieser WM von Dr. Daniela Schaaf (Sport- und Medienwissenschaftlerin, Köln) kontaktiert, die nicht nur mit den Sponsoren und den Verbänden, sondern auch mit Journalisten über den Frauenfußball und seine spezifisch (deutsche) Situation sprechen wollte.
Und diese Fragen enden nicht im Viertelfinale. Jetzt, ein Jahr nach dem verpatzten Sommermärchen, haben wir unsererseits Daniela Schaaf kontaktiert und nach der Auswertung ihrer Studie Einzelsportler-Vermarktung im Profifußball der Frauen. Eine Analyse der Selektionskriterien von Massenmedien und Sponsoren im Hinblick auf die FIFA-WM 2011 befragt.
Zum Zeitpunkt des Interviews (Mai 2012) hatte Daniela Schaaf gerade die Arbeit an einem Artikel beendet, der sich auf die Ergebnisse ihrer Studie bezieht: »„Lieber Barbie als Lesbe?“ – Dispositionen von Sportjournalisten und Sponsoren zum heteronormativen Körperideal im Frauenfußball.« Die kursiv gedruckten Textteile sind Auszüge aus diesem Artikel, der im Sommer in dem Sammelband »Spielen Frauen ein anderes Spiel? Geschichte, Organisation, Repräsentationen und kulturelle Praxen im Frauenfußball« (herausgegeben von Gabriele Sobiech & Andrea Ochsner) erscheinen wird.
Spielfeldschnitte: Frau Schaaf, als wir das letzte Mal sprachen waren Sie u. a. mitten in der Befragung von potentiellen Sponsoren für die WM 2011. Wie bewerten Sie retrospektiv das Engagement von Sponsoren? Ist es unter den Erwartungen geblieben? Bzw. was können wir insgesamt aus ihren Beobachtungen über Sponsorenverhalten während der WM 2011 ablesen?
Daniela Schaaf: Man kann nicht sagen „unter den Erwartungen“, weil die Erwartungen von vornherein sehr gering waren. Der DFB hat sich wahnsinnig schwer getan im Vorfeld Sponsoren zu generieren, obwohl die WM in Deutschland stattgefunden hat. Viele Sponsoren wie z.B. Alno sind wieder abgesprungen und man musste um neue Hauptsponsoren werben. Bei einer Männer WM hingegen rennen die Sponsoren dem DFB fast die Türe ein...
Die Sponsoren, die schlussendlich die Frauen WM unterstützten und mit denen ich gesprochen habe (die Telekom, die Deutsche Post, die Deutsche Bahn), standen allerdings tatsächlich sehr ehrlich für dieses Ereignis ein und haben die Spielerinnen nicht nur als Weiblichkeitsstereotypen zu inszenieren versucht.
Aber es war auch von vornherein klar, dass die Verträge der Sponsoren alle befristet waren - und zwar auf den letzten Tag der WM. Es gibt einige Verträge die noch länger gelaufen sind - allerdings von Unternehmen, die vorher auch schon im Frauenfußball aktiv waren: Hyundai oder die Commerzbank. Die meisten Förderer aber haben gesagt: wir schauen uns erstmal an, wie erfolgreich das Unternehmen wird und welches Feedback wir von diesem Event bekommen, also wie viel Medienpräsenz wir kreieren können. Daran wird sich bemessen, ob wir im Frauenfußball aktiv bleiben.
Und dann hat die deutsche Nationalmannschaft die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllt, sie konnten den Titel nicht verteidigen. Dadurch sind ungefähr 80 Prozent der Sponsoren wieder abgesprungen.
Spielfeldschnitte: Ist die sportliche Leistung tatsächlich der Hauptgrund dafür?
Schaaf: Der Hauptgrund war jedenfalls nicht die mangelnde Medienpräsenz. Die Spiele hatten bis zu 18 Millionen Zuschauer. Das ist durchaus vergleichbar mit der Männer-WM. Die WM wurde ja insgesamt von den Rezipienten positiv aufgenommen. Der Knackpunkt war tatsächlich, dass das Team die Erwartungen nicht erfüllt hat, nämlich die sportliche Leistung. Und sportliche Leistung ist das elementare Auswahlkriterium für Sponsoren. Ich bin fest davon überzeugt, dass das ganz anders aussähe, wenn sie Weltmeisterinnen geworden wären.
Spielfeldschnitte: Aber ist diese Kritik bzw. dieses Sponsorenverhalten Frauenfußballspezifisch?
Schaaf: Diese Kritik wäre auch gekommen, wenn die Männer ausgeschieden wären. Ich glaube die Kritik der sportlichen Leistung ist nicht Frauenfußballspezifisch. Das Problem ist aber vielmehr, dass niemand, nicht die Medien, nicht die Sportjournalisten, daran geglaubt haben, dass sich die Aufmerksamkeit, die man zur WM generiert, irgendwie dauerhaft in die Bundesliga, also den nationalen Frauenfußball, transportieren lasst. Diese Einschätzung ist durch die sportliche Niederlage bestärkt worden.
Spielfeldschnitte: D. h., diejenigen, die den Frauenfußball vorher finanziell unterstützten oder über ihn schrieben, tun dies weiterhin, alle anderen haben einmal den Fuß ins Wasser gehalten und haben ihn schleunigst wieder rausgezogen?
Schaaf: Genau. Es gibt ja ein gutes Dutzend an FrauenfußballexpertInnen in Deutschland, die überwiegend bei den Qualitätszeitungen arbeiten: bei der FAZ, bei der SZ. Die werden auch weiterhin über Frauenfußball berichten. Aber diese große Masse, die zur Frauenfußball-WM aufgesprungen ist, ist auch wieder abgesprungen. Es ist für die jetzt einfach kein Thema mehr, da passiert ja auch nichts Spektakuläres mehr auf längere Sicht: Die Frauen haben auch die Olympia-Qualifikation nicht geschafft. Die Bundesliga war eh schon immer uninteressant.
Dieses mangelnde Medieninteresse allerdings hat andere Gründe als rein sportliche:
Sportredaktionen sind dominiert von Männern – es gibt nur etwa 8% Frauen in den Redaktionen. Das, was dort ausgewählt wird, erfolgt nach männlichen Präferenzen. Frauensportarten sind generell nicht so präsent. Man kann sagen, dass der Anteil von Frauensportberichtserstattung in keinem tagesaktuellen Medium bei mehr als 15 Prozent liegt.
Bei der WM im eigenen Land „mussten“ die über den Frauenfußball berichten, weil es politisch erwünscht war. Die Bundeskanzlerin hat das Event in ihrer Neujahrsansprache erwähnt. Der damalige Bundespräsident Wulff war im Trainingslager medienwirksam. D.h. es bestand ein gewisser gesellschaftlicher Druck für die Sportredaktionen über dieses Event zu berichten.
Meine Interviews haben aber ergeben, dass die meisten Redaktionen – abgesehen von den überregionalen Qualitätszeitungen – gar keine Experten dafür einsetzen konnten. Die, die für Männerfußball zuständig waren, haben sich oftmals geweigert über den Frauenfußball zu berichten. Dann wurde die Berichtserstattung meistens dem schwächsten Redaktionsmitglied zugeschoben. Das war entweder die einzige Frau in der Redaktion, auch wenn die sich vielleicht gar nicht so sehr dafür interessiert hat. Oder es wurde dem jüngsten Redaktionsmitglied zugeschoben. Nach dem Motto: soll doch der Volontär was über Frauenfußball berichten. Wenn ich bei meiner Befragung dann gesagt habe: „Sie wurden mir als Experte vermittelt“, kam oft: „Naja, ich bin ja gar kein Experte, ich muss das jetzt hier machen, weil ich der Jüngste bin. Aber ich bin froh wenn das vorbei ist, dann kann ich wieder über richtigen Fußball berichten.“ Dann hab ich gefragt: „Was ist denn richtiger Fußball?“ „Männerfußball.“
Ich habe aber durchaus auch kritische Stellungnahmen von Journalisten zu DFB und FIFA bekommen. „Wir würden ja gerne berichten, aber wir bekommen keine Interviews oder überhaupt Antworten auf Anfragen von der Pressestelle des DFBs.“ Mir wurde als Problem geschildert, dass der DFB nur bestimmte Medien mit Informationen versorgt und auf eine kleine Lokalzeitung oder ein Onlinemedium nicht so viel Rücksicht nimmt.
Fußball zeichnet sich in Deutschland durch eine hegemoniale Sportkultur aus. Der Mann ist der allgemeine Maßstab, auf den sich sämtliche spielerischen und kulturellen Praktiken ausrichten (vgl. Kreisky & Spitaler 2009: 10). Insofern stellt auch die Sport-Medien-Wirtschafts-Allianz eines der letzten Refugien dar, in denen in besonderer Weise Geschlechterhierarchien reproduziert und zementiert werden. [...] Heteronormativität zeigt sich in diesen redaktionellen und werblichen Auswahlprozessen insbesondere durch „Formen des Ignorierens, des Vermeidens, des Verschweigens und der Amnesie. [...] Sie exkludiert und verwirft all jenes, von dem aus sie sich bedroht fühlt und was ihren hegemonialen und archimedischen Stand selbst in Frage zu stellen vermag. Sie schafft Homosexualität als ihr kulturelles Alter Ego, das von der Norm abweicht“ (Haller 2001: 4). (...)
Die Heteronormativität geht hier mit patriarchalen Vorstellungen vom Wert des weiblichen Geschlechts eine fatale produktive Allianz ein. Abweichungen von der männlich konstruierten Norm werden mit medialer Nichtbeachtung bestraft, sodass in Folge eine Akquise von Sponsoren – die zur Existenzsicherung des Profisports erforderlich ist – deutlich erschwert wird (Schaaf 2011: 122).
Spielfeldschnitte: Kann man darauf hoffe, dass durch die Position von Steffi Jones Frauenfußballspezifische Probleme zu einer Sache des DFB werden?
Schaaf: Steffi Jones ist nach meinem Gefühl so ein bisschen die Quoten-Frau des DFB. Schaut man hinter die Kulissen, werden die Entscheidungen doch vom greisen Funktionärs-Patriarchat getroffen. Und es fällt auf, dass auch das Management – Profipartner24, Siggi Dietrich und noch ein dritter – fest in männlicher Hand ist. Das bringt - ist meine Meinung und auch die vieler anderer - durchaus Probleme mit sich: nennen wir es eine männliche Perspektive der Vermarktung. In den letzten Jahren wurden teilweise Spielerinnen auf Teufel komm raus auf eine spezifische Weise zum Marketingobjekt gemacht: Insbesondere Fatmire Bajramaj wurde sehr präsent über eine absolute Feminisierung und Sexualisierung. Zum Glück mussten wir dieses Jahr keine Nationalspielerinnen im Playboy sehen – das haben aber dafür die Nachwuchsspielerinnen gemacht. Aber das ganze Event stand unter diesem Stern, man denke nur an diesen unsäglichen Slogan „20Elf von seiner schönsten Seite“...
Die Aussicht auf hohe Gewinne durch die Austragung des Turniers in Deutschland hat ein zaghaftes Interesse der kapitalistisch ausgerichteten Werbewirtschaft an dieser Sportart geweckt. Demzufolge bestand für den Dachverband erstmals die Chance, die sportlichen Erfolge des Nationalteams zu kommerzialisieren. Dieses Ziel konnte jedoch nur erreicht werden, wenn der Frauenfußball sich den Spielregeln des Massenmarkts bedingungslos unterwirft. Der DFB versuchte deshalb die Außendarstellung seiner Nationalelf marketingstrategisch zu steuern. In diesem Zusammenhang stellt Walther-Arens (2011) fest, dass in Verbänden und Vereinen häufig Stillschweigen über die sexuelle Orientierung der Spielerinnen vereinbart wird, um Medien und Sponsoren nicht abzuschrecken. Insbesondere im Jahr der Weltmeisterschaft soll der „Frauenfußball doch ‚normal’ werden. Da stören viele lesbischen Spielerinnen“ (Fertig 2011: 29). Besorgt ist darauf geachtet worden, ein feminines heterosexuelles Image abzugeben, das sich deutlich vom „lesbischen Wuchtbrummensport“ differenziert (Bajramaj 2009: 12).
Spielfeldschnitte: Oder auch sehr unangenehm: Die Slow-Motion Schminkstunde auf dem Rasen.
Schaaf: Die Expert-Werbung. Die Spielerinnen packen den Lippenstift aus - so klischeebelastet! Da fragt man sich, warum sagt das Management: das ist eine super Sache, das machen wir jetzt?!? Ich kann das aus einer Spielerinnenperspektive, die es teilweise schwer haben sich zu finanzieren und sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, nachvollziehen. Aber dann wird man auch schnell unkritisch.
Und ich finde dass die Leute die gerade hinter den jüngeren Nachwuchsspielerinnen stehen - das Management, der Verein, der DFB - eine gewisse Fürsorgepflicht haben. Die kann man nicht so ins offene Messer laufen lassen, da muss man die auch aufklären: Was passiert eigentlich, wenn du jetzt so einen Spot mit solchen Bildern machst? Welche Nachhaltigkeit haben die Bilder, die im Online-Gedächtnis öffentlich verfügbar bleiben?
Z.B. die Playboygeschichte mit den jüngeren Spielerinnen, 18, 19 Jahre alt... Ich kann nicht verstehen, dass da nicht mal jemand vom Verband gesagt hat: „Passt mal auf, wir können es euch nicht verbieten, aber wir möchten euch mal aufklären darüber was mit diesen Bildern passieren kann.“ Stattdessen das Gegenteil! Der DFB hat auf Anfragen immer gesagt: „Das sind erwachsene Frauen, die sind alt genug und die müssen wissen, was sie tun.“
Ich sehe das aus einer sportwissenschaftlichen Perspektive nicht so. Ich bin der Meinung, dass der DFB eine gewisse Fürsorgepflicht für seine Spielerinnen hat, die er aber vernachlässigt, weil ihm dieses Sexy-Girl-Image gut in den Kram gepasst hat: Es ist (bzw. scheint) vermarktbar!
Diese Annäherung an das heteronormative Körperideal erfolgt über den gezielten Einsatz von Genderattributen, wie weiblich konnotierter Kleidung, Make-up, Nagellack, Frisur und Schmuck (vgl. Kleindienst-Cachay & Heckemeyer 2008). Die Fußballerinnen strahlen über dieses System von Signalen ihre Weiblichkeit aus und „beweisen“ eine heterosexuelle Orientierung. Zu dieser Akzentuierung des „Frau-Seins“ gehört auch das bewusste Verschweigen der eigenen Homosexualität gegenüber Medienvertretern.
Spielfeldschnitte: Gibt es diese Sexualisierungsstrategie nicht nur von Seiten der Sponsoren, sondern auch von Seiten der Medien?
Schaaf: Da muss man immer sehr stark unterscheiden zwischen den Boulevardmedien und den Qualitätsmedien. Die Boulevardmedien, allen voran natürlich die Bildzeitung, haben das natürlich aufgegriffen. Da war die Rede von "Deutschlands schönste Fußball-Models" – und Fatmire Bajramaj wurde abgebildet. Es wurde sehr stark mit verbalen Trivialisierungen gearbeitet wie "Unsere elf Elfen", aber auch mit entsprechenden Fotos: Die Spielerin bei Modeshooting und nicht in Aktion auf dem Spielfeld. Und das wurde dann als positive Schlagzeile inszeniert: Endlich haben wir mal "weibliche" Spielerinnen!
Die Qualitätsmedien haben das durchaus kritisch gesehen und die Sexualisierung, die vom Management forciert wurde, stark kritisiert. FAZ, SZ, TAZ haben alle sehr kritisch darüber berichtet. Aber Boulevard hat letztlich die größere Öffentlichkeit.
Spielfeldschnitte: Wie steht es um das Interesse an einer (weiteren) Analyse der spezifischen Situation des Frauenfußballs, z. B. durch eine Studie wie der Ihren?
Schaaf: Zusammen mit meinem Kollegen hatte ich eigentlich noch eine Studie zur Nachhaltigkeit der Frauenfußball-WM geplant. Aber leider haben wir noch keine Finanzierung für dieses Projekt gefunden, weil gerade alle sagen: das ist doch jetzt kein Thema mehr. Ich finde das total erstaunlich. Eigentlich müsste man sich jetzt genauer angucken - was ist ein Jahr danach? Was ist passiert, was ist geblieben? Wir wollten noch mal die Sponsoren und die Medien befragen. Auch bei den Vereinen nachzuschauen, was hat sich da verändert? Hat sich zumindest die Mitgliederzahl erhöht? Spielen jetzt mehr Mädchen und junge Frauen Fußball?
Spielfeldschnitte: Hat die WM eher eine Art Rebound ausgelöst? Steht die Professionalisierung des Frauenfußballs, die auf Gelder angewiesen ist, gerade umso mehr auf dem Spiel?
Schaaf: Wenn Sponsoren sich noch nicht oder nur unter Vorbehalt vorstellen können, eine WM zu finanzieren, wird es für die Bundesligavereine natürlich noch schwieriger. Das Problem scheinen mir nicht die Medien, sondern die Sponsoren sind der Knackpunkt. Die Sponsoren haben nun ein Argument mehr zum „Lesbensport“, weil die Erwartungen der WM nicht erfüllt wurden und dadurch die Medienpräsenz als potentieller Anreiz nicht nur wieder verloren gegangen ist, sondern als nicht herstellbar erscheint. Die Länderspiele sind zwar inzwischen in prominenterer Platzierung im Fernsehen - nicht mehr 15 sondern 18 Uhr -, aber es fehlt eine kontinuierliche Berichtserstattung. Zum Beispiel eine Zusammenfassung der Bundesligaspiele einer Woche in der Sportschau.
Spielfeldschnitte: Womit sich eigentlich auch niemand ein Bein brechen würde.
Schaaf: Genau, drei Minuten Zusammenfassung. Das wurde vorher gefordert, jetzt haben alle gehofft es würde passieren. Aber wenn ich mir die Sportschau anschaue - die ja eigentlich Fußballschau heißen müsste, weil eigentlich nur Männerfußball kommt - dann sehe ich da immer noch keinen Frauenfußball. Obwohl die Öffentlich-Rechtlichen einen Programmauftrag zu erfüllen haben. Da steht nicht drin, dass sie sich auf Männerfußball konzentrieren müssten, sondern dass sie möglichst eine Vielfalt präsentieren sollen. Da hat der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk meiner Meinung nach seinen Programmauftrag verfehlt.
Spielfeldschnitte: Haben Sie auch mit jemandem von der Sportschau gesprochen?
Schaaf: Ich habe mit einem Bildregisseur gesprochen, der zur Frauenfußball-WM Regie geführt hat. Ich habe gefragt: „Was unterscheidet in der visuellen Umsetzung Männer- und Frauenfußball?“ Er sagte: „Naja, Frauenfußball ist ja so langsam und so undynamisch, da müssen wir natürlich viel mit Schnitten arbeiten um das ganze schneller und dynamischer zu machen.“
Spielfeldschnitte: Das habe ich sogar gegenteilig wahrgenommen: eher weniger Schnitte, weniger unterschiedliche Kameraeinstellungen im Vergleich zum Männerfußball.
Schaaf: Ja, aber die Dynamik wird anders erzeugt, wie mir der Regisseur damals sagte: Sein Auftrag war, viele Close-ups von den attraktiven Spielerinnen zu machen.
Hope Solos Gesicht zum Beispiel wurde immer und immer wieder in Großaufnahme gezeigt. Obwohl man sie doch eigentlich in ihrer Funktion als Torhüterin, also im Gesamtbild, sehen will. Bei der amerikanischen Mannschaft gab es insgesamt viele Großaufnahmen. Einzelne Spielerinnen wurden öfter gezeigt, unabhängig von dem Fokus im Spiel. So auch zum Beispiel bei der französischen Mannschaft: Auf Necib wurde eher mal draufgehalten als auf die Spielerin, die gerade den Ball hatte. Die Japanerinnen z.B. wurden dagegen eher als sexuelles Neutrum behandelt.
Spielfeldschnitte: Um die Frage der Frau als vermarktbaren Schönheit geht es auch in Ihrer nächsten Veröffentlichung „Lieber Barbie als Lesbe?“.
Schaaf: Ja, ich untersuche ja generell das heteronormative Ideal, welchem der Frauenfußball auf so besondere Weise unterworfen ist, aber auch explizit die Rolle der sexuellen Orientierung im redaktionellen und werblichen Auswahlprozess. Inwiefern stellt das ein Problem dar? Viele haben mir vorher gesagt: „Das kannst du doch nicht fragen!“ Da habe ich gesagt: „Doch, denn das scheint ja DAS Problem zu sein.“ - Die Sponsoren, die Geldgeber, empfinden Spielerinnen als lesbisch und daher zu maskulin oder als zu maskulin und daher als lesbisch. Dann geben sie kein Geld. Natürlich haben die es sehr begrüßt, dass ihnen von Seiten der Verbände eine Bajramaj oder eine Kim Kulig gestellt wurden.
Spielfeldschnitte: Haben diese Konstruktionen eines Weiblichkeitsideals für die Sponsoren oder auch die Medien während der WM 2011 funktioniert?
Schaaf: Gerade Fatmire Bajramaj hat es da besonders hart getroffen: Vorher als das deutsche Talent gehandelt, kam sie selten in der Startelf zum Einsatz und hat dann auch noch schlecht gespielt. Die sportlichen Erwartungen, die an die feminine Fußballerin geknüpft wurden, wurden in diesem Fall überhaupt nicht erfüllt. Das hat einen Rückkopplungseffekt hervorgerufen, den ich in Anlehnung an den Kournikova-Effekt den Bajramaj-Effekt nennen würde: gut aussehen, aber keine Leistung bringen.
Das Klischee von den lesbischen Fußballerinnen ist aber immer wieder als Hauptproblem aufgetaucht. Zum Beispiel hat eine Sponsoring-Leiterin von einem Branchenevent erzählt, auf dem sie die Werbevorhaben mit Fußballerinnen vorgestellt hat. Und die Reaktion: „Wie könnt ihr denn mit Frauenfußball werben? Das sind doch alles Lesben und wer will schon eine Lesbe in der Werbung sehen?“ Oder ein anderer sagte: "Zum Thema Homosexualität möchten wir uns in ihrer Studie jetzt nicht so konkret äußern, wir möchten nur soviel sagen: der DFB achtet schon sehr, sehr genau darauf, dass der Frauenfußball nicht diese alten Klischees bedient, sondern von einer neuen, jungen Generation repräsentiert wird, die Bevölkerungsrepräsentativ ist."
Die Mehrheit der im Sportsponsoring aktiven Unternehmen reagierte gar nicht oder ablehnend auf die Anfrage, was teilweise offen mit dem Image des Frauenfußballs begründet wurde. So verneinten drei Konzerne ein Interview mit eindeutigen Aussagen, wie etwa „Wir unterstützen diesen Lesbensport nicht!“.
Spielfeldschnitte: Mal abgesehen davon, dass das absolut diskriminierend ist, glaube ich noch nicht einmal, dass Werbung mit einer klaren Botschaft und Haltung wie einem Coming Out negativ aufgefasst würde.
Schaaf: Ich persönlich glaube das auch nicht. Es gibt eine Studie von Infratest, wo die Bevölkerung dazu befragt wurde und die Mehrheit hat das überhaupt nicht gestört. Die wollen einfach Fußball sehen und denen ist das egal welche sexuelle Orientierung jemand hat. Das Vorurteil der Sponsoren ist ja nicht nur ein Vorurteil sondern auch eine Angst. Da steckt unglaublich viel Angst dahinter, dass die Bevölkerung so etwas als negativ auffassen würde und dann das Produkt nicht kauft. Aber diese Angst wird quasi ausgelagert: „Ja, wir würden ja gerne...“, „Ich persönlich sehe das ganze ja auch anders, aber...“
Die L-Mag hatte einen Artikel, in welchem sie über ihre Versuche schreiben, Werbekunden für ihr Sonderheft zum Frauenfußball zu generieren. Und auch hier stellt sich heraus, die nationalen Förderer wollten nicht in "diesem Lesben Magazin" werben, die wollten einfach gar nicht damit in Verbindung gebracht werden.
Die Haltung der Sportkommunikatoren zu dieser Vorgehensweise ist ambivalent. Die eine Hälfte kritisiert die homophobe Einstellung der Sponsoren, die andere Hälfte zeigt hingegen Verständnis für deren Befürchtungen.
„Das ist halt ein latentes Thema, was nicht ganz geklärt ist. Und dass Sponsoren sich deswegen zurückhalten, ist schlicht aus der Sorge, ich will nicht sagen Furcht, aber aus der Sorge, da könnte irgendwann mal eine schlechte Geschichte kommen und dann weiß man nicht, wie man damit umgeht. Und dass man sich deswegen zurückhält, kann ich irgendwie nachvollziehen“.
(Sportjournalist N)
Ein investigativ arbeitender Sportjournalist meint zu wissen, dass dem DFB die Problematik bekannt war und deshalb bewusst einen Imagewechsel im Frauenfußball forciert hat, um schlechtweg Sponsoren für die WM 2011 zu generieren.
„Frauenfußball und Sexualität ist tatsächlich, ich glaube, aufgrund dieser massiven Prädisposition ‚Homosexualität’ ein ganz großes Problem. Die Sponsoren haben es erkannt und setzen den Frauenfußball bewusst deswegen nicht werblich ein. Das ist die Theorie, die mir jemand aus dem DFB so weitergeleitet hat. Dass dort einfach Sponsoren davor zurückschrecken, mit diesem ‚Ekel-Thema’ Homosexualität in Verbindung gebracht zu werden. Und sie deswegen zwar den Sport unterstützen, aber auf ihr Recht verzichten, Werbung zu betreiben.“
(Sportjournalist R)
Spielfeldschnitte: Auf das Outing von Uschi Holl bzw. die Selbstverständlichkeit, mit der sie von ihrer Frau spricht, gab es aber keine negativen Reaktionen. Erweist sich nicht durch einen solchen Fall diese tiefsitzende Angst als das eigentliche Problem?
Schaaf: Genau. Man hat es zur Kenntnis genommen, aber es gab weder positive noch negative Konsequenzen für sie. Natürlich ging das schöne Bild mit ihr und ihrer Lebensgefährtin durch die Medien, aber keiner hat gesagt: „Jetzt berichten wir nicht mehr über die oder wir wollen nicht mehr, dass sie auf Fotos auftaucht.“ Ich glaube auch, dass diese Angst vor den Reaktionen „der Bevölkerung“, die dann vermeintlich nicht mehr finanziell das eigene Produkt unterstützen würde, ein fatales Eigenleben hat.
Zwar betonen sowohl die Sportjournalist(inn)en als auch die Sponsoringleiter/-innen, dass dieses Kriterium keine Relevanz aufweisen würde, aber dies könnte auch ein sozial erwünschtes Antwortverhalten darstellen. Denn so zeigte sich bereits bei der Rekrutierung von Interviewpartnern, dass insbesondere bei den werbungtreibenden Unternehmen Vorbehalte gegenüber lesbischen Nationalspielerinnen bestehen, die weder aus einer gesellschaftspolitischen noch ökonomischen Perspektive nachvollziehbar sind. Daher ist es wenig erstaunlich, dass bei der Besetzung der WM-Werbekampagnen das Motto „Lieber Barbie als Lesbe“ (Kay 2011: 32) galt und die junge Generation der Nationalelf als „retraditionalisierte Modelle normativer Weiblichkeit“ (McRobbie 2010: 94) inszeniert wurde. Sponsoren, aber auch Medien negieren somit die Vielfältigkeit der in der Realität vorzufindenden Erscheinungsformen des weiblichen Sportkörpers und reduzieren die Fußballerinnen stattdessen auf traditionell einseitige Geschlechterkonzepte. Noch immer fehlt es im Sport an Normalität im Umgang mit sexueller Vielfalt. Im Fall der Frauen ist die Belastung sogar doppelt – sie erleben Benachteiligungen wegen ihres Geschlechts und der sexuellen Identität. Der Druck, einen heteronormativen Schönheitsideal zu entsprechen, nimmt für Frauen im Profisport merklich zu. Outen sie sich als Lesben, kommen sie als Markenbotschafterin für viele Unternehmen nicht mehr in Betracht. Für homosexuelle Fußballprofis ist ihr Coming-out daher immer eine Gratwanderung zwischen Existenzbedrohung und der Einforderung mehr öffentlicher Akzeptanz. Diese könnte erreicht werden, „wenn alle lesbischen Fußballerinnen offen mit ihrem Lesbischsein umgehen würden, [weil dann] die allseits erwarteten negativen Konsequenzen für einzelne gering sein [dürften]“ (Walther-Arens 2011: 105). Dafür ist eine Unterstützung seitens des DFB erforderlich, der offiziell auch hinter seinen Nationalspielerinnen steht, bei dem jedoch im Vorfeld der WM „klammheimliche Freude [herrschte], dass das Lesbenklischee im Frauenfußball langsam vom Sexy-Girl-Klischee verdrängt wird – es passt besser ins patriarchalische Weltbild“ (Lange 2011).
Spielfeldschnitte: Wie kann sich an diesem von Ihnen geschilderten Dreieck: Verband – Medien – Sponsoring etwas ändern?
Schaaf: Gerade im Fußball entscheiden alte Männer darüber, wer spielen darf und wer seine sportliche Leistung kommerzialisieren darf. Das ist ein großes Problem. Seit Jahren gibt es z.B. immer wieder Diskussionen um das Trikot. In der Vergangenheit haben viele Funktionäre gefordert, dass im Rock oder in einem Outfit wie es die Beachvolleyballerinnen haben gespielt werden soll, ohne zu sehen, dass es total bekloppt ist, im Bikini Fußball zu spiele. Ich war auf einer Tagung wo auch ein alter Funktionär vom DFB war und der konnte das gar nicht verstehen. Der hat immer wieder gesagt: „Wieso? Ist doch schön, im Rock und so.“ Dem sind unsere Argumente gar nicht in den Kopf reingegangen!
Ich glaube, es muss vor allem auf Verbandsebene noch viel passieren: Mehr Frauen müssen in Entscheidungspositionen aufrücken. Wenn wir über eine Quote sprechen, müssen wir definitiv auch in diesem Bereich über eine Quote sprechen. Im gesamten Sport-Medien-Wirtschaftsbereich müssen Strukturen überdacht und progressiv angegangen werden. Das greise Patriarchat muss aufgebrochen werden. Nur dann wird sich auch langfristig was im Denken ändern.
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