Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Dienstag, 5. Juli 2011

My B/log has something to tell you about: Taktikstammtisch in der Entscheidungsfindungsphase

  
Noch nie wurde ein unwichtigeres Spiel so heiß diskutiert, wie dieses. In der Kneipe redet man darüber, in der Bahn auf dem Weg nach Hause und zu Hause geht es weiter. Frankreich gegen Deutschland. Beide sind im Viertelfinale, es geht um die Platzierungen und beide täten wohl lieber gegen England spielen. Die Prognosen? So durchwachsen wie lange nicht mehr. Frankreich hat sich zuletzt zu gut präsentiert, die gewinnen das locker! Weil es für beide Teams nicht mehr viel zählt, gibt es ein langweiliges Unentschieden! Deutschland will den ersten Platz und gewinnt knapp!

Doch das Spiel ist wichtig, vor allem für das deutsche Team. Parole: Standortbestimmung. Oder wie es Uli Ballweg ausdrückte: "Wir befinden uns in der Entscheidungsfindungsphase".

Entscheidungen über Entscheidungen. In der Aufstellung: Wer spielt für Behringer? Wie geht es weiter mit Prinz? Für das gesamte Team: Wie will man sich bei dieser WM präsentieren? Nach Nigeria muss eine klare Steigerung her, ansonsten wird es schwer in der KO-Runde. Was kann das deutsche Team taktisch verbessern?

Was ist eigentlich bei Silvia Neid passiert, dass sie Birgit Prinz zuletzt wieder als Spitze hat auflaufen lassen? Man hat doch in den gefühlten Hundert Testspielen schon festgestellt, dass Prinz sich den Entwicklungen im internationalen Wettbewerb angepasst hat - als erfahrene und überlegte Ballverteilerin hinter den Spitzen. Jetzt kommen Mbabi und Popp und Silvia Neid weiß gar nicht mehr wohin mit den ganzen Spielerinnen. Ein bißchen so wie wenn man als Kind in einem Süßigkeiten-Laden steht, sich nicht entscheiden kann und dann einfach versucht alles in eine Tasche zu packen. Silvia Neid will die bestmögliche Offensive, verständlich. Aber wenn man zu viel auf einmal isst, dann wird einem schnell mal schlecht von dem ganzen Zucker.

Warum wollte Neid zuletzt Mbabi hinter der Spitze Birgit Prinz aufstellen? Eigentlich gehört es doch klar andersherum. Die quirlige Mbabi, schnell und mutig in der Spitze, kombiniert mit der Spielerfahrung einer Birgit Prinz, die immer wieder die Gegnerinnen auf sich zieht, in den richtigen Momenten die Pässe schlägt und auch aus der zweiten Reihe gefährliche Schüsse abgibt.
Ist alles in den letzten Spielen nicht passiert. Könnte aber heute passieren, wenn Neid sich bei der Aufstellung mal erinnern würde, wie es eigentlich zu planen ist.

Gegen Nigeria hat man gesehen: Die Doppel-Sechs Laudehr und Kulig können ihr Potential (welches sie unbestreitbar haben) nur ausspielen, wenn sie nicht ständig mit Schadensbegrenzung beschäftigt sind. Dafür muss die Viererkette funktionieren. Nach dem letzten Spiel wurde vielfach gesagt, dass die Viererkette ihren Job ganz gut gemacht hätte. Bedeutet "guter Job" in dem Fall nur, dass die Abseitsfalle aufgeht und die Innenverteidigung keine Stürmerinnen aus den Augen verliert? Zur Viererkette gehört auch der souveräne Spielaufbau, sonst kann man gleich mit Libera spielen und die Torfrau hohe Bälle nach vorne schlagen lassen. Krahn und Bartusiak müssen sich anbieten können, damit der Ball schon in den hinteren Reihen zirkulieren und dann auf die Außenbahnen geschickt werden kann. Babett Peter hatte in den letzten Spielen mit Abstand die meisten Ballkontakte - daran sollten sich die anderen Defensivspielerinnen ein Beispiel nehmen.

Das Flankenspiel (Behringer, Bajramaj, Garefrekes, Mbabi...), das schon bei den Außenverteidigerinnen beginnt, kann nicht funktionieren, wenn man sich nicht auf das eigene Passspiel verlässt. Zu viele hohe Bälle im Nigeriaspiel, zu viele versprungene Bälle, zu wenig Stellungsspiel und internalisierte Laufwege und zu viel Hinterhergerenne. Das schwungvolle Spiel nach vorne funktioniert bei Deutschland im besten Fall über ein breit aufgestelltes Offensivspiel und über schnelles Kombinationsspiel im Mittelfeld. Wenn es etwas zu geben scheint, auf das man sich heute besinnen muss, dann ist es das Vertrauen in das eigene Passspiel und die gemeinsame Bewegung nach vorne. Mit Kulig, Laudehr und Prinz sind im Zentrum alle Voraussetzungen da für ein solches Spiel, auch für die Flanken gibt es genügend Alternativen und Mbabi oder Popp drängen sich für den Spitzensturm geradezu auf.
Was über das Aufzählen von Namen jedoch nicht zu beschreiben ist, ist die Leistung als Teamverbund, die Bewegung, die jede einzelne auf dem Platz für und mit den anderen zu leisten bereit ist. Gewinnen oder nicht, das scheint uns gerade gar nicht so wichtig. Aber das eigene Spiel wieder in die Hand zu nehmen, mit Birgit Prinz Worten "Fußball zu spielen" (und haben wir nicht gelernt, dass Passspiel die Seele des Fußball ist), das möchten wir heute wieder sehen.

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