Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Sonntag, 10. Juli 2011

Gastspiel: Marta! Marta! Marta!

         
Ein kleiner Bericht von der Aussenlinie, nachdem Jones im Juni 2011 einen Monat in Brasilien verbrachte und dort ein Stimmungsbild zum Frauenfußball einfangen wollte. Die Interviews wurden ausschließlich auf portugiesisch geführt. Befragt wurden Menschen unterschiedlichen Hintergrunds und Alters in den Städten Natal und São Paulo, die sie zufällig auf der Strasse getroffen hatte.

Brasilianer_innen nach Fussball zu befragen mag etwas überflüssig klingen. Ist Brasilien nicht Fußball? Was bleibt da noch zu fragen übrig? Ich würde hier gerne einwerfen, dass ich voller Klischees stecke – jedoch gemessen an den Erfahrungen durch Unterhaltungen mit verschiedensten Brasilianer_innen, stecken diese noch viel tiefer in den eigenen Klischees. Vorerst zumindest.

Die Frage, ob sie Fußball mögen, wirkt fast als Affront – ist das nicht endlich mal geklärt, durch die Globalisierung in die Welt getragen, dass der Brasilianer über das “mögen” des Fußballs nicht mehr entscheidet, sondern das längst für ihn entschieden wurde?! Lediglich ein Mensch wies mich ab mit den Worten “nee, interessiert mich nicht so, ich hab da keine Ahnung von”. Sobald ein Mann im Raum ist, gibt die Frau das Wort an ihn ab – Fußball schaue sie schon gerne, aber Ahnung darüber habe doch eher der Mann.
Ob sie den Fußball, den sie mögen, auch angucken, wurde in direkte Abhängigkeit zur Zugänglichkeit gestellt. Spiele der seleção (ob der männlichen oder weiblichen seleção wird nicht spezifiziert; die Frage nach Fußball ist klar zum Männerfußball, die seleção ist klar die der Männer) werden nicht nur übertragen, die Tage gleichen Nationalfeiertagen – die Arbeit wird niedergelegt und der Chef liegt sich mit der Putzkraft in den Armen (das wiederum ist Floskel, da Chef und Putzkraft weder Arbeitszeiten noch Stockwerk noch Zugang noch Kantine teilen – die Schere ist ziemlich weit). Selbst der Brasilianer, der keine Präferenz bei den Clubs hat, dem die Liga überall vorbeigeht, selbst dieser wohnt den Spielen der Nationalmannschaft bei und jubelt und zittert wie die heftigsten Ultras der Nation. Spätestens hier kam ich bei den Gesprächen ins schmunzeln, stocherte aber munter weiter. Wann denn die nächste WM sei? Was für eine Frage! - 2014, hier, Brasilien, Stolz und Schmach und Angst zugleich! Das wisse doch nun wirklich auch die Welt! Mein Grinsen wird breiter und ihre Augen misstrauischer – was sei denn mit der seleção feminina, der Frauennationalmannschaft? Oh, die! Ja, Marta! Die Mannschaft kenne man kaum, wie auch, Spiele werden ja nicht übertragen, geschweige denn über sie berichtet. Aber gesehen würden die Spiele, sobald sie kommen. Allerdings sei man vom KabelTV abhängig und das habe wirklich nicht jeder Haushalt. Aber Marta kenne man, die ist der ganze Stolz, schließlich verkörpert und repräsentiert sie den Fußball, den die brasilianische Nation beim Männerfußball in den letzten Jahren vermisse: die Ginga, die Kunstfertigkeit im Umgang mit dem Ball. Viermal Spielerin des Jahres? Fünfmal – siehste, die ist fantastisch! Weitere Namen fallen selten, Cristina und Formiga können sich noch einigermaßen eines Bekanntheitsgrades erfreuen – alle anderen: unbekannt. Keiner der befragten wusste etwas von der WM – ein Santos–Fan meinte etwas von einem Turnier gehört zu haben, aber dass das die WM sei, nee! Santos allerdings investiere stark ins Frauenteam, es sei das beste Brasiliens. Bei der WM sei Brasilien doch sicher Favorit, zusammen mit USA, oder? Als ich das etwas relativieren musste, kam zum Vorschein, dass die Annahme, Brasilien sei Favorit mehr der Tradition dieser Meinung geschuldet war. Brasilien ist für die Brasilianer Favorit in allen Turnieren, Frauen oder Männer, der Unterschied wird nicht gemacht. Um eine Relativierung einzuführen: ganz so selbstverständlich sehen nicht alle das eigene Team im Finale, da sie sich auf Grund der wenigen Übertragungen kein gutes Bild des Spiels machen können, außer von Marta, die muss man nicht gesehen haben, um zu wissen wie gut die ist. Das Wort reicht aus. Generell landet das Gespräch über brasilianischen Frauenfußball schnell bei dieser kleinen Person – sowohl was die Lesbendebatte angeht, als auch was die Chancen angehen, als auch was die Makel im Land angehen. Alles ist an Marta auszumachen. Die wäre doch bei Santos geblieben, wenn die Strukturen und Gelder in Brasilien besser wären! Homosexualität im Fußball – männlich oder weiblich – ist doch scheißegal, solange die gut spielen, man interessiere sich nicht für deren Privatleben, die sollen herausragen auf dem Platz! Darum gehe es doch im Fußball – Tore, nicht Hochzeiten. Trotz aller Unterstützung für Frauenfußball des Zuschauers (Motto: setz' mir was zu essen vor, es wird schon weggehen) fehlt es deutlich und fundamental an einer finanziellen Spritze, ganz abgesehen von den Medien, deren Interesse eher bei Home-Stories über die männlichen Kollegen liegen als bei Spielen des weiblichen America-Cup Gewinners. Dennoch habe Marta einen riesigen Unterschied gemacht – obwohl das „riesig“ im Vergleich zu den Männern sehr klein erscheint. Keiner der Befragten ging davon aus, dass die Fußballerinnen von dieser Profession leben können – außer Marta!

Die Antworten zeigten, dass der Brasilianer im gemeinen erstmal dem Nationalsport huldigt und dann erst in Geschlechter unterscheidet – und die Unterscheidung sei vielmehr Schuld der Medien und der Politik als die des Zuschauers – der schaue alles, was an brasilianischem Fußball kommt, wenn es denn komme. Ob das nun eine Ausrede war, eine Strategie sich für das Unwissen über Frauenfußball zu entschuldigen oder sich selbst ins homophilere, aufgeklärtere Licht zu stellen, sei dahin gestellt. Außenstehenden werden gerne Bilder eines Brasiliens beschrieben, die man wenn überhaupt nur in Ansätzen vorfindet, schaut man einmal hinter die Wortkulissen.

2 Kommentare:

  1. Wie sieht wohl ein brasilianischer Fernsehkommentar aus? bei tom und konsorten gibts ja schon viel familiensportgeschichte, persönliche tops und flops und manchmal gar wagemutige vergleichsgrätschen zwischen männer- und frauenfußball... was sagen den die brasilianischen kommentatoren? nur die namen? oder "RENN!" - "Galopp!" - also das, was wir so zu kerstin garefrekes sagten? nein, ich weiß es: "beo beo! beo!" gell jones?

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  2. die brasilianischen Kommentatoren sagen beim Frauenfußball weniger, als man durch Legenden vermuten mag. Liegt vielleicht auch am Unwissen über den Fußball, den man kommentieren sollte. an den Namen bzw. den ihnen enthaltenen Rs üben sie sich lange und gerne: Forrrrmiga, Marrrrrrrta, Crrristiane. Dazwischen viel beo beo, manchmal sogar im Doppelpack, wie beim Spiel gegen Australien.

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