In der gleichen Ausgabe der ZEIT wartete das Feuilleton mit einer provokativen These im Zusammenhang der Missbrauchsfälle in Kirche und Reformschule auf: Statt sexuellen Missbrauch auf das Konto homosexueller Männer zu buchen, situiert Susanne Mayer ihn direkt im Herz der heterosexuellen Männerbünde. Es gehöre zum Wesen des Patriarchats zitiert sie Pierre Bourdieus Die männliche Herrschaft, dass es sich nicht bekennt. Gerade im Schweigen liege seine Macht. „Männlichkeit steht, im doppelten Sinn, nicht zur Diskussion. In dieser Kopplung von Macht und Schweigen findet sich eine beklemmende Nähe zum Geschehen des Missbrauchs.“ Die pädophilen Übergriffe von Männern auf männliche Kinder begreift Mayer am Ende ihres Artikels als Abwehr des homophilen Elements, „was noch jedes Foto einer Vorstandssitzung gnadenlos outet.“ Männliche Kinderschänder verführten mit Nähe, mit dem Versprechen der Männlichkeit und verdammen ihre Opfer zum doppelten Schweigen, weil sie diesen Jungen eine homosexuelle und damit gesellschaftlich abgewertete Sexualität überstülpen würden. Im Kern patriachaler Institutionen, die ihre ganze Macht aufwenden, um homosexuelles Begehren lächerlich zu machen, abzuwerten oder zu bestrafen scheint als Kehrseite eine sich in Innere dieser Institutionen richtende Aggressivität zu verbergen, die zum Schweigen zwingt. Die provokante Beschreibung Mayers versteht also nicht den Schwulen als „schwarzen Mann“ gegenüber dem weißen heterosexuellen Max Mustermann. Vielmehr versteht sie das Männlichkeitsverständnis von Max Mustermann als Zwangsprodukt von institutionellen Machtstrukturen.
Wagen wir einen dritten Blick: Die DSF Dokumentation Tabubruch – Der neue Weg von Homosexualität im Fußball von Aljosch Pause ist mit dem Fernseh-Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Zwei eindringliche Filme über das große Tabu des, ich schreibe es groß, DES Männersportes in Deutschland, ein Blick in DIE Arena der Männlichkeit. Wenn Susanne Mayer von Vorstandsbildern schreibt, die das homophile Moment von Männergruppen outet, sollte sie mal einen Blick in die deutschen Fußballstadien werfen. So mancher Fußballer betont in der Dokumentation, er würde sich vor einem homosexuellen Mitspieler nicht mehr „nach der Seife bücken“ - damit der Zuschauer überhört, dass Fußballer nackt zusammen duschen? Wenn Fans homosexuellenfeindliche Sprüche rufen, tun sie das, damit niemand darüber nachdenkt, dass sie mit ihren Blicken jede Woche 22 muskelbepackten, schwitzenden Männerkörpern folgen?
Es ist an der Zeit, dass Männer sich fragen, was sie zum Mann macht. Wenn die Macht der männlichen Herrschaft darin besteht, sich nie selbst in Frage zu stellen, dann ist Männlichkeit ein totalitäres System, dass auch seinen Trägern gegenüber tendenziell gewalttätig ist. Wann fangen Männer an, das nicht mehr zu akzeptieren? Die ganze Frage nach dem ersten Fußballer, der sich outet, nach der ersten Fußballerin, die mit Spielerfrau vor die Kamera tritt, kreist nämlich gar nicht so sehr um die Frage, wer das ist. Das es diese Menschen gibt, wissen wir alle. Die Frage zielt in den Kern des patriarchalen Zuschauertums und ihre Fähigkeit, die Wahrheit über Kaderschmiede der Männlichkeit zu verkraften, die Wahrheit, dass es zwischen IHNEN und DENEN gar nicht so viele Unterschiede gibt.