Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Dienstag, 27. Oktober 2009

denk.anstoß: Warum machen Sie das?

Im Zeit Leben Magazin gibt es auf der letzten Seite im Laufe der letzten Jahren immer wieder schwierige Formate. Die zum Husten anregende wöchentliche Zigarette von Giovanni Di Lorenzo mit Helmut Schmidt wurde im März 2009 von Roger Willemsen abgelöst. Der ehemalige Museumswächter fragt jetzt jede Woche eine Person: “Warum machen Sie das?” --- Könnte man ihn glatt jede Woche zurückfragen. Aber diese Woche befragte er Lira Bajramaj und das regt ausnahmsweise mal zum Lesen an.

Der Erkenntnisgewinn ist wie gewohnt mittelmäßig. Ob der Knappheit muss Willemsen sich auf einzelne Aspekte beschränken – im Zentrum dieses Interviews verspricht er diesmal die „Tusse“: “Frau Bajramaj, Sie sind Fußballerin und nennen sich `Tusse´ - warum machen Sie das?” Tja. Es muss ja nicht immer eine Antwort auf die Frage sein, aber sollte man als Interviewender seine eigenen Fragen nicht so ernst nehmen, dass man sich zumindest während des Interviews damit beschäftigt, was man mit ihnen mal erfahren wollte? “Und wann wurde aus der Straßenfußballerin die Tusse - wie Sie sich selbst nennen?” fragt Willemsen irgendwann auf halber Strecke, nur um über Bajramajs Wunsch nach einem Kosmetikstudio, dem Torwandschießen in Stückelschuhen schnell zur Frage nach dem Kopftuch vorzustoßen. Auf der Strecke geblieben, die Tusse.
Irgendwie seltsam, die Begriffe „Fußballerin“ und „Tusse“ nebeneinander, sogar groß und fett in einer Überschrift. Fußballerin und Tusse. Keine gewohnte Verbindung. Vor einigen Jahren noch standen vielmehr die fußballspielenden “männlichen Frauen” im Vordergrund, die “aussehen wie Jungs” und mit Sicherheit “Lesben” wenn nicht sogar “Kampflesben mit Lederjacken” waren - die Stylingfähigkeiten jedenfalls noch weit entfernt. So scheint es. Doch warum eigentlich interessiert uns das?

Ein kleiner Denkanstoß von Pierre Bourdieu:
„Die männliche Herrschaft konstituiert die Frauen als symbolische Objekte, deren Sein ein Wahrgenommenwerden ist. Das hat zur Folge, dass die Frauen in einen andauerenden Zustand körperlicher Verunsicherung oder, besser, symbolischer Abhängigkeit versetzt werden: Sie existieren zuallererst für und durch die Blicke der anderen, d.h. als liebenswürdige, attraktive, verfügbare Objekte. (...) Durch das intensive Betreiben einer Sportart kommt es bei den Frauen zu einer tiefgreifenden Veränderung der subjektiven und objektiven Erfahrung des Körpers: Er hört auf, bloß für andere oder, was auf dasselbe hinausläuft, für den Spiegel zu existieren (...). Er verwandelt sich aus einem Körper für andere in einen Körper für sich, aus einem passiven, der Aktion der anderen ausgesetzten Körper in einen aktiven, selbsttätigen Körper. In den Augen der Männer freilich erscheinen diejenigen, die das stillschweigende Disponibilitätsverhältnis aufkündigen und sich so gleichsam ihr Körperbild und damit ihren Körper wieder aneignen, als nicht weiblich, ja, als lesbisch – wobei die Behauptung der intellektuellen Unabhängigkeit, die sich ja auch körperlich äußert, ganz ähnliche Effekte zeitigt.“ (Die männliche Herrschaft, Seite 119f.)

Wie populär ist der Frauenfußball in Deutschland, seit Lira und Anja ihre schwarz-rot-goldenen Fingernägel in die BILD Zeitung hielten! Funktioniert die Emanzipation des Frauenfußballs nur über die “sicheren” Labels der Weiblichkeit (Kosmetik, Männer und Schokolade)? Ist es sozusagen eine “Errungenschaft” des Frauenfußball, dass eine Nationalspielerin die Eigenschaften einer “Tusse” erfüllen kann? Bedeutet mehr Anerkennung gleichzeitig Rücküberführung in den sicheren Hafen der weiblichen heterosexuellen Körpernorm, genauer gesagt: die Fähigkeit als Model durchzugehen?

Und die Spielfeldschnitte fragt:
„Herr Willemsen, wenn sie Lira Bajramaj danach fragen möchten, warum sie sich eine Tusse nennt und sie dann nicht fragen, machen sie sie dann nicht selbst zu einer? Warum machen Sie das?“

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