Das Projekt Spielfeldschnitte
Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)
Donnerstag, 29. Oktober 2009
Coaching Zone: Deutschland - USA
Bei jenem für mich bemerkenswerten Spiel HSV gegen den FFC Frankfurt letzte Woche geschah folgendes: In einer kurzen Spielunterbrechung stand auf einmal der neue Coach des FFC mindestens drei Meter weit auf dem Platz. Da hatte er doch wirklich einfach seine Coaching Zone verlassen und plauderte mit Birgit Prinz. Irgendwann kam dann mal die Linienrichterin vorbei, die ihn bat, doch wieder etwas zurück zu treten. Vielleicht steht dieses Erlebnis heute Pate für meine Idee, mich vielmehr in meine Coaching Zone zurück zu ziehen. 90 Minuten. Mit Nachspielzeit. (Ich gebe zu, die Idee ist vor allem der Tatsache geschuldet, das gerade die Zeit für Artikel extrem begrenzt ist.)
Wie präsentieren sich die deutschen Frauen? Ich würde sagen lustvoll. Mia Hamm hat gesagt, sie sind „heiß“ auf das Spiel. Und das stimmt. Voller Motivation, selbstbewusst, mit dem Bedürfnis, sich zu zeigen, etwas zu reißen. Die freuen sich richtig, sind vielleicht auch dankbar. Und das vor allem mit der desaströsen Statistik im Rücken. Und 30.000 Fans. Gute Bedingungen, will ich meine.
Schauen wir uns also die Aufstellung an. Da fehlt mir vor allem Melanie Behringer, leider immer noch verletzt. Doch Lira Bajramaj, die Ballverliebte Technikerin - vielleicht tut ihr diese Verantwortung gut. Und ich bemerke Linda Bresonik in der Viererkette. Hingst noch verletzt, dafür Bartusiak. Die ersten 15 Minuten zeigen eine beeindruckende Gruppendynamik der deutschen Frauen. Gute Raumaufteilung, die den Amerikanerinnen wenig Möglichkeiten lässt, schön heraus gespielte Angriffe. Sicherlich Ergebnis von Silvia Neids Entscheidung, das Team der Europameisterinnen nicht zu verändern. Und ich habe es vermutet und es löst sich ein, Bajramaj viel besser und weniger egoistisch, als ich sie bisher erlebt habe. Super Impulse nach vorne.
(Kim Kulig, teilt Bernd Schmelzer gerade mit, soll das Gesicht der WM werden. Ich bemitleide sie ja schon immer, wenn sie bei Bundesligaspielen vom HSV vom Stadionsprecher mit dem Zusatz „unsere“ Europameisterin angekündigt wird...)
Besonders gut gefällt mir die Ausgeglichenheit der beiden deutschen Flanken. Viel geht über die Außen, aber alle greifen gut ineinandern. Schnelles Umschalten lässt den Amerikanerinnen scheinbar oft nur die Alternative grober Fouls. Nach vorne konnten sie bisher überhaupt keine Impulse setzen.
(Das Stadion in Augsburg ist das erste Mal überhaupt in seiner Geschichte ausverkauft.)
Und jetzt passiert doch wirklich, was nicht passieren darf: Krasser Fehler, krasse Fehler und dann das Gegentor. Bartusiaks Querschläger und Angerers Fehleinschätzung der Lage führt zum uneleganten Führungstreffer für die Amerikanerinnen. Jetzt wird sich zeigen, ob dieser Schlag das Spiel bestimmen wird. (Gehört nicht das retardierende Moment zur Tragödie dazu?)
Die Partie ist nicht besser geworden, eher schlechter. 0 : 1, das ist eigentlich nicht zu fassen, weil zu wenig für die Deutschen. Gott sei Dank ist jetzt Halbzeit.
(Und jetzt geht’s wirklich los: Karten für 2011, das „Frauenmärchen“, wie Steffi Jones es inhaltlich richtig, aber begrifflich etwas daneben nennt. In 21 Monaten ist es schon soweit.)
Zweite Hälfte beginnt genauso wie die erste. Wobei: der erste „normale“ Torschuss der Amerikanerinnen, das ist doch in der 47. Minute erwähnenswert.
Es scheint eine unsichtbare Wand im Strafraum der US-Spielerinnen zu existieren, die Deutschen spielen hochklassigen und schnellen Fußball bis an die Strafraumgrenze und verstolpern dann die Bälle, als hätte man ihnen auf den letzten Metern die Schnürsenkel zusammengeknotet. Alles geht nur in einer Richtung. Insbesondere Bajramaj steht immer wieder mit ihren Sprints auf der rechten Seite im Mittelpunkt der Bildregie, sie läuft so schnell, dass ihre zusammengebundenen Locken waagerecht in der Luft stehen.
Man sollte übrigens nicht vergessen, dass die schlechte Chancenverwertung durch Bernd Schmelzers übermäßige Betonung von Stimmung und Zuschauerzahlen im Stadion etwas unter den Tisch gekehrt wird. Ein amtierender Welt- und Europameister muss da effektiver sein!
Völlig unverständlich: Bajramaj rauszunehmen. Das Spiel ist neben einem Testspiel auch Werbung für den Frauenfußball. Und Bajramaj nicht nur die beste Spielerin auf dem Platz, sondern dadurch, dass sie den ansehnlichsten Fußball präsentiert auch Publikumsliebling. Doofe Entscheidung von Silvia Neid.
Motto des Spiels: Gut gedacht, schlecht gemacht.
In der Endphase verkommt das Spiel leider zu einem unattraktiven Kick, unmotiviert und mit unverständlichen Szenen: wie z. B. die Strafraumszene mit Bartusiak und Wambach, bei der die deutsche Abwehrspielerin Glück hat, dass es keinen Elfmeter gibt. Es gibt jetzt viele Fouls, viele Spielunterbrechungen und viele Fehlpässe. Besonders die optimistischen Bälle in die Spitze, wohl in der Annahme Birgit Prinz hätte mal eben ihre Sprintfähigkeit verdoppelt erzählen von einer Hilflosigkeit des deutschen Angriffspiels. Noch dazu fehlt es an Ordnung und Struktur hinter den Spitzen.
9 Minuten vor Schluss rückt Bresonik endlich auf ihre richtige Position, ins Mittelfeld. Aber ob das so spät noch für die nötigen Akzente reicht...
Die Schlussphase: ein Trauerspiel...
Ich leg mich nieder! Zwei Minuten vor Schluss noch der Wechsel Prinz – Müller; als würde man, die Führung im Rücken, noch Zeit schinden wollen. Das ist ja wohl ein Witz! Die Bundestrainerin agiert für mich heute extrem unverständlich.
Jetzt ist Schluss. Deutschland verliert – durch einen kurzen Moment einer Reihe von Fehlern. Es war ein streckenweise hochklassiges Spiel. Doch jetzt am Ende muss man kurz mal Einhalt gebieten, dem Herumgesülze über die Stimmung, die Kulisse etc.. Unerfreulichkeiten, wie die Chancenverwertung, die ja nicht jetzt plötzlich auf einmal in diesem Spiel ein Problem der Deutschen war, oder auch die Spieleingriffe von Silvia Neid sollten nicht mit einem solchen Übermaß an Lobbyismus und Pathos übergangen werden – Verrat am gesunden Fußballverstand. Dieses Spiel war Werbung für den Frauenfußball. Am Ende leider schlechte. Auch wenn es (bei all der Euphorie) keiner zugeben wollte.
Die Unmittelbarkeit dieser Coaching Zone dient auf der einen Seite dem Versuch einer direkten Verfolgung der (heute so beliebten) „Stimmung“skurve eines Spiels, bei dem es auf und ab ging. Auf der anderen Seite gibt es diesmal weniger den Anspruch einer distanzierten Analyse. Also vielleicht, mit Hans-Ulrich Gumbrecht gesprochen, ein Versuch den „Moment der fokussierten Intensität“ in Schrift übertragen, auch in ehrlicher Dedikation an die beiden besten Mannschaften der Frauenfußballgeschichte.
Großartig. Gestern von diesem Blog in "11 Freundinnen" gelesen und direkt unter Favoriten abgespeichert... ;)
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