Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Mittwoch, 15. Februar 2012

Coaching Zone: Türkei - Deutschland

    
Spannende Spiele der Nationalmannschaft sind dieses Jahr rar gesät. Auf dem Entzug wird umso mehr über jeden Grashalm jubiliert.
Vor dem Spiel gibt es Rechenaufgaben von unserer liebsten Taktikexpertin Ulrike Ballweg: Wir brauchen einen großen Platz um das Spiel breit und offen zu gestalten. Der Platz in Izmir ist mittelgroß. Aha, das bedeutet also für die Taktik π mal 50 Quadratmeter hoch 7Ω ± ∞, ähm und vielleicht noch √≠. Ach Uli ist ja heute auch Cheftrainerin in Spe, Juhu. Mit der unverhofften Macht hat sie heimlich in der letzten Nacht sämliche taktische Laufwege mit UV-Farbe auf das Spielfeld gesprüht und den Spielerinnen Schwarzlicht-Kontaktlinsen verordnet. Uli, so kennen und lieben wir dich!

Das Spiel wird anders als sonst. Nicht nur weil Silvia Neid auf der Tribüne in Ruhe über eine neue Klausel für Mecker-Prämien bei ihrer nächste Vertragsverlängerung nachdenken kann. Team-Oldie Saskia Bartusiak schafft es auf ihre alten Tage noch zur Spielführerin. Faißt und Goeßling sind in der Abwehr aufgestellt (was ist bloß mit Bianca Schmidt?). Formkrise Linda Bresonik wurde kurzerhand in das Mittelfeld befördert (wo wir sie auch immer schon aufgestellt haben wollten). Und die Doppel-Sechs, das Herzstück im Deutschen Taktikklüngel, entpuppt sich als völlig aufgefrischt mit Maroszan und Odebrecht. Wird hier Zukunftsmusik gespielt? Ulrike Ballweg komponiert auf dem Banjo, Silvia Neid auf dem Schlagzeug, das klingt wie... Naja, lassen wir das.

Das Spielfeld sieht jedenfalls so breit aus wie das Stadion leer ist. Ballwegs Rechnung müsste also aufgehen und es scheint auch ganz gut zu klappen mit der Breitmachung. Bresonik und Behringer jagen die Bälle an der Seitenlinie rauf und runter und locken die Türkinnen von der Mitte weg. In der 9. Minute hat Maroszan, der Star von Morgen, prompt eben diesen freien Platz in der Mitte und zieht einfach mal ab. Drin ist er. Ein Tor, so trocken wie Knäckebrot. Das 2 zu 0 kommt gleich hinterher, diesmal über außen. Bresonik von der Torauslinie auf Mbabi am ersten Pfosten und rein damit. Im Stadion bleibt es so still, dass wir uns auch nicht trauen zu jubeln. Man muss sich ja aber auch die Kräfte für die anderen sechs Treffer aufsparen.

Das Spiel plätschert weiter vor sich hin. Zwischendurch hat man fast das Gefühl, dass die Deutschen hier ein kleines Trainingsspiel ableisten und mal ein paar neue Kombinationen ausprobieren, streng nach den UV-Linien. Etwas erschreckend, wie die Innenverteidigerinnen der Türkei mit aller Kraft lossprinten um dann doch von Bresonik abgelaufen zu werden. Auch wenn diese Partie vielleicht nicht die Aussagekräftigste ist kann man nun nach 30 Minuten feststellen, dass Goeßling besser in der Abwehr aufgehoben ist, Bresonik und Behringer den Außenbahnen einen sympathischen Charakter verleihen und Odebrecht und Maroszan ihre Sache in der Mitte ganz gut machen. Was für ein Resümee. Für´s erste Spiel doch nicht schlecht, Uli! Fünfzehn Minuten später ist dann auch schon Halbzeit. Man könnte fast sagen, das Spiel wäre etwas langweilig. Machen wir aber nicht, jeder Grashalm 2012 ist kostbar.

Claus Lufens persönliches Highlight des Spiels ist der Ausrutscher auf dem Ball der türkischen Torhüterin. War ja auch wirklich total witzisch. Weiter geht´s mit Hälfte Zwei. Anja Mittag kommt für Celia Da Mbabi. Ja die Anja, Bild-Vorzeigespielerin 2009, die gibt es wirklich noch. Das Spiel in der zweiten Hälfte wirkt bemüht, im Wortsinn hat das Deutsche Team Mühe. Immer noch haben sie mehr Ballbeseitz, aber nach vorne fehlt jetzt (noch mehr) die Konsequenz, Pässe und Flanken versanden. Grashalm mit Knick? Irgendwie schon.. Huch, wie aus dem Nichts in der 58. Minute eine gute Chance für die Türkei! Karabulut stochert sich durch und scheitert an Almuth Schult. Erste Prüfung für die Torfrau: Eine Eins. Keine überschwengliche, aber doch eine Eins. Kurz danach versucht Maroszan ganz frech eine Ecke direkt ins Tor zu setzen und scheitert nur an der Verteidigerin am zweiten Pfosten. Fast alles spielt sich jetzt im Strafraum der Türkinnen ab (eher chaotisch), bis Bartusiak in der 64. Minute eine gelbe Karte für nichts bekommt und der Ball plötzlich länger in der Hälfte der Deutschen verweilt (auch chaotisch). Die Spielerinnen, die zu diesem Zeitpunkt am ehesten organisiert wirken: Maroszan und Behringer. Kaum aufgeschrieben, schon gibt´s Gelb für Maroszan wegen auf den Fuß treten. Also, so richtig schlau wird man aus dem Spiel gerade nicht. War es in der ersten Hälfte noch durchzogen von einigermaßen sicheren Passkombinationen über die Außen, wirkt es jetzt in der zweiten Hälfte fast kopflos. Ist das Spielfeld in der Halbzeit vielleicht geschrumpft? In der 70. Minute doch das Drei zu Null mit der Brechstange: Die türkische Torfrau kommt zu weit rausgelaufen, Anja Mittag knallt den Ball an die Latte und Bresonik den Abpraller ins Netz. Heiderassa Bumm. Das entlockt auch Silvia Neid nur ein müdes Klatschen. Brechstange Nummer Zwei in der 75. Minute: Melanie Behringer lässt den Frust mit einem Distanzschuss zum 4 zu 0 raus. Silvia Neid steigert sich zu einem Nicken. Wir finden es übrigens unfair, dass bei den Toren immer nur Neid eingeblendet wird. Es ist doch viel spannender, wie Ulrike Ballweg reagiert! Wenn gerade noch irgendwas spannend ist. Und jetzt drängelt Neid sich auf noch in den Kommentatorensitz! Unfassbar! Immerhin gibt sie sich geläutert und traut sich nicht auf die Distanz über die Schiedsrichterin zu meckern. In der 83. Minute kommt Svenja Huth für Linda Bresonik und Martina Müller für Alexandra Popp. In der letzten Minute bekommt Behringer einen Freistoß vor dem Strafraum und verwandelt selber mit einem perfekten Schuß ins rechte Eck. Das war wohl die perfekteste Szene des Spiels. Neid: "Genauso wie wir es geübt haben." Bravo. 80 Prozent der anderen Aktionen müssen wohl nochmal geübt werden. Es gibt unglaubliche Fünf Minuten Nachspielzeit, aber das macht den Braten jetzt auch nicht mehr fett. Neid noch gönnerhaft: "Ulrike hat ihre Sache heute wirklich gut gemacht." Und obacht, doch noch eine spektakuläre Szene! Bartusiak zieht die Notbremse und sieht Gelb-Rot. Toller Einstand als Spielführerin, aber vorsichtshalber hat sie vor dem Spiel den Bildregisseur der ARD bestochen in einem solchen Fall einen falschen Namen einzublenden. Es trifft Linda Bresonik. Und dann ist endlich Schluss. Drei Punkte, ermüdende Sache. Oder bemühte Sache.

Übrigens geschickter Schachzug der ARD Silvia Neid als Co-Kommentatorin für die letzten 15 Minuten einzusetzen, so spart man sich die Sendezeit zusammen. Quo Vadis, Frauenfußball im Fernsehen? An die Algarve anscheinend nicht...

1 Kommentar:

  1. Hallo,
    eine tolle Zusammenfassung! Das Blog ist wirklich auch sehr schön. Viele Grüße, Nadja

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