Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Montag, 11. Juli 2011

WM Telegramm No°10

    
Dieses Viertelfinal-Wochenende ließ einem wahrlich keine Atempause. Da das Ausscheiden des deutschen Teams zunächst alles andere überschattete, soll jetzt doch kurz nochmal der Blick zurück geworfen werden. "Dieses Spiel bietet einfach alles!" überschlug sich gestern Tom Bartels während der letzten Begegnung Brasilien - USA. Ground control to Major Tom: Diese ganzen Spiele boten alles!

Fulminant ging es schon bei der ersten Partie England - Frankreich zu. Die über weite Strecken aktiveren Französinnen mussten fast dreißig Minuten gegen einen Rückstand anlaufen - bis in der 88. Minute mit dem Ausgleich die Erlösung kam. Über die Verlängerung braucht man nicht viel zu sagen. Ach doch, eine Sache: Beeindruckend, wie Kelly Smith, nachdem sie schon gen Ende der regulären Spielzeit angeschlagen über den Platz humpelte, in der Verlängerung sich aufopferungsvoll einbeinig in jeden annahenden Ball warf, lässig im kurzen Anlauf gleich den ersten Elfmeter für England verwandelte. Noch dazu hielt die englische Torhüterin Bardsley den ersten der Französinnen - ideale Ausgangssituation für England. Rafferty und Faye White sahen das wohl anders und schossen rechts vorbei, bzw. an die Latte. Der gefürchtete englische Zielwasser-Mangel. Oder Angst vor dem Traditionsbruch? England mal wieder im Viertelfinale nach Elfmeterschießen ausgeschieden.

Nach diesem spannenden Spiel sogleich der Anpfiff zum nächsten, obwohl dafür nun wirklich noch niemand bereit war. Ist zuviel Fußball am Stück ungesund? Sicherlich wenn zu lange am Stück zu wenig aufs Tor geschossen wird. Nach 120. Minuten war es dann vorbei mit dem Fußballtag und Nadine Angerer twitterte mal wieder passend wie der Vogel im Baum: "Danke danke danke an alle Fans!!! Ihr wart großartig... Ich bin leer!!" Mehr können und wollen wir dazu auch nicht mehr sagen.

Nach einem solchen Samstag um 13 Uhr am Sonntag gleich das nächste Spiel. Die Öffentlich-rechtlichen verbrechen nicht nur dumme Werbeplakate, die man jetzt wirklich nicht mehr sehen kann (z.B. "3. Plätze sind was für Männer"), sondern auch absurde Anstoßzeiten, damit Tour de France und Tatort nichts im Wege steht. Von uns aus hätten sie das Spiel auch einfach gleich im Anschluss an das Deutschland - Japan Spiel anpfeifen können. Und gleich das Brasilien - USA Spiel hinterher. Überdosis! Naja, 13 Uhr am Sonntag nach einem solchen Samstag kommt der Überdosis schon sehr nahe.

Schweden war 13 Uhr wohl noch zu früh um ein Risikospiel zu wagen. Früh gingen sie mit zwei Toren in Führung und spannend wurde es nur noch mal kurz, als Australien kurz vor der Halbzeit der Anschlusstreffer gelang. Nach dem Seitenwechsel erziehlte Lotta Schelin das 3 zu 1 und damit den Endstand. Die Schwedinnen ließen nichts anbrennen, spielten überlegen und sicher, machten etwaige Unterkühltheit im Spiel durch die Tanzeinlagen nach den Toren wett (ein Aufeinandertreffen mit Brasilien hätte in Punkto Torjubel interessant werden können). Australien nahm´s sportlich und freute sich nochmal retrospektive über den Viertelfinaleinzug. Fußball kann manchmal auch für beide Seiten fröhlich sein.

Im Duell Brasilien - USA war kein Platz für Fröhlichkeiten. Die USA ging nach zwei Minuten bereits durch ein Eigentor in Führung, ab da glich die Partie mehr einem Kampf denn einem Spiel. Beide Teams gingen äußerst sparsam mit extraordinären Torszenen um, dafür umso mehr Geplänkel im Mittelfeld. Dramatische Szenen in der 67. Minute: Rachel Buehler konnte Marta im Strafraum nur mit einer Notbremse stoppen und flog vom Platz. Cristiane trat zum Elfmeter an und Hope Solo (nach dem Ausscheiden des deutschen Teams die beste Torhüterin der Endrunde) parierte glanzvoll! Jubel bei den Engländerinnen, aufgeregtes Gewusel bei den Brasilianerinnen, gepfeife bei der Schiedsrichterin. Marta legt sich den Ball auf den Punkt und Solo sieht Gelb. Was war da passiert? Erster Verdacht: Solo hatte sich beim Strafstoß zu früh bewegt, was angesichts der Zeitlupe wirklich lächerlich ist. Zweiter Verdacht: Eine amerikanische Spielerin war zu früh in den Strafraum gelaufen, was jedoch nicht die gelbe Karte für Solo erklärt. Unsere Theorie: Funkstörung im Headset der Schiedsrichterin, die befürchtet eine Durchsage der Kollegin von der Linie überhört zu haben, gibt vorsichtshalber mal der Nächstbesten Gelb und lässt wiederholen. Ach ja, Marta verwandelte den wiederholten Elfmeter sicher.
In Überzahl blieben die Brasilianerinnen am Drücker, schafften es aber nicht vor Ablauf der regulären Spielzeit den Siegtreffer zu erzielen. Nach zwei Minuten in der Verlängerung dann die Führung: Nach einem schönen Spielzug über die linke Seite entwischt Marta einmal mehr der amerikanischen Verteidigung und kann den Ball so treffen, dass Hope Solo chancenlos zuschauen muss, wie er gegen den Pfosten und ins Netz springt.
Die Amerikanerinnen versuchten nach diesem Rückschlag Druck aufzubauen, man spürte aber die zahlenmäßige Unterlegenheit. Die Zitterpartie führte durch das Zeitspiel der Brasilianerinnen zum Haareraufen. Gelb dafür sah Maurine und Erika bot ein wahres Schauspiel vier Minuten vor Ende der Spielzeit. Lächerliche drei Minuten sollten nachgespielt werden. Großartig dann die Flanke von Rapinoe in der letzten Minute, Andreia segelte einmal mehr am Ball vorbei und Abby Wambach, überragende Spielerin bei den Amerikanerinnen, musste nur noch einnicken.
Im Elfmeterschießen parierte Hope Solo dann ausgerechnet den Schuß von der unglücklichen Eigentorschützin Daiane und Alexandra Krieger machte mit dem letzten Treffer den Halbfinaleinzug klar. An Spannung einfach zu viel für jedes Nervengerüst! Die USA im Glück. Schale Beigeschmäcker: Mal wieder die Schiedsrichterinnenleistung. Und die Dauerpfiffe für Marta. Das gleicht ja mittlerweile fast schon dem Reflex eines Hundes, der den Postboten ankläfft.

Und als wäre das alles nicht schon genug für dieses Wochenende, kommen hier noch die Kurznachrichten. Naja, das Zeitgefühl ist ja eh schon verloren und Fußball hört einfach nie mehr auf.

Über das Ausscheiden des deutschen Teams: Artikel bei Womensoccer, den 11 Freundinnen, bei der Taz und in derStandard (besonders das Foto ist super. Was geht Simone Laudehr wohl durch den Kopf?). Eine taktische Analyse gibt es bei Spielverlagerung.

Für Birgit Prinz war es ein harter Abschied. Der Tagesspiegel berichtet über ihr wahrscheinliches Karriereende im Nationaldress und Kommunikationsprobleme mit der Trainerin.

Und natürlich kommt die Frage: Wer ist Schuld? Darüber, ob Silvia Neid das Team "vercoacht" hat, liest man bei der Süddeutschen, ebenso auf Zeit Online.

1 Kommentar:

  1. einer der 1 Mio. Bundestrai..ääh..besserwissen11. Juli 2011 um 12:39

    Zitat: Und natürlich kommt die Frage: Wer ist Schuld? Darüber, ob Silvia Neid das Team "vercoacht" hat, liest man bei der Süddeutschen, ebenso auf Zeit Online.

    Da versuche ich mich als Besserwisser.
    Imho hätte doch diesmal die Erfahrung von Birgit, die evtl. mit einem präziseren "letzten Pass" den entscheidenden Impuls hätte geben können.
    Außerdem hätte sie so immerhin 45 min lang wenigstens die kleine Chance gehabt, selbst ein bisschen an ihrem eigenen Schicksal herumzubasteln.
    Toll wäre außerdem gewesen, statt das Hinfallen an der gegnerischen Außenlinie zu üben, um gefühlte 38 Bananenflankenfreistöße zu bekommen, wenn im Training vllt. auch der Ballannahme etwas Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre. 5m wegspringen vom Fuß ist k e i n e Ballannahme. *hmpf*

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