Das Projekt Spielfeldschnitte

Pünktlich zur Fußball Europameisterschaft der Männer 2008 konnte man in Filialen einer großen deutschen Bäckereikette ein Kuchenstück erwerben, das sich als Alternative zu Bier in Plastikbechern verstand: ein Sahnetörtchen namens Spielfeldschnitte. Das Projekt Spielfeldschnitte nahm diese Beleidigung, diese Herausforderung und diesen Namen an. Seitdem verstehen wir uns als kreative und humorvolle Begleitung der deutschen Fußballnationalmannschaft und als längst fälligen Beitrag zu einer Frauenfußball-Kultur. Wir bieten nicht nur messerscharfe Analysen zu allen Länderspielen, wir sind die kulturwissenschaftliche Stimme in der Stille des Blätterwaldes, wir sind das Theater, das um den Frauenfußball aufzuführen ist, wir wollen die Welt verändern und schreiben darüber. „My (B)Log has something to tell you.“
(The Log Lady, Twin Peaks)

Dienstag, 12. Juli 2011

My B/log has something to tell you about: Vergesst nicht, was war und was kommt

    
Dass das deutsche Team so frühzeitig aus dem Turnier ausgeschieden ist, ist eine mittlere Katastrophe. Für die Spielerinnen, das Team hinter dem Team, für die Fans. Aber vor allem für die Presse. Schon Wochen vor der WM glichen die medialen Eruptionen teilweise an den Haaren herbeigezogenen oder überstrapazierten Themen. Lira Bajramaj wurde bis in die Haarspitzen beschrieben, beschaut und dokumentiert, bis auch wirkliche jede_r alles wusste, gesehen hatte, es beinahe schon leid war. Die Hetzjagd auf Birgit Prinz schien dem hilf- und kompromisslose Wühlen nach den Themen die Krone aufzusetzen. Nun geht in der letzten WM-Woche die Furcht um, es habe sich ausgewühlt. Wenige wollen anscheinend einfach über den schönen Fußball schreiben, den die vier letzten Teams spielten und spielen werden.

Das Thema dieser Woche, das ausgetreten werden soll wie ein lascher Teig bis das Finale sich nicht mehr allzu fern anfühlt, ist also Silvia Neid. Gretchenfragen, Gewissensfragen, Existenzfragen. Was fühlen Sie, Frau Neid? Haben Sie ein schlechtes Gewissen, Frau Neid? Was werfen Sie sich vor, Frau Neid? Wie wird es weiter gehen, Frau Neid?

Vielleicht hatte sie es mit ihrem kurzen Blick in die Zukunft zusätzlich herausgefordert: „Wir haben mehr als eineinhalb Jahre Zeit, um uns auf die EM vorzubereiten." Bernd Schröder und Siegfried Dietrich, ansonsten nicht unbedingt Busenfreunde, traten wie auf Signal auf den Plan und übten Kritik. Plant sie einen neuen Coup? Wird die Bundesliga diesmal eine ganze Saison aussetzen müssen, damit sich das Nationalteam optimal vorbereiten kann? Auch Birgit Prinz´ Vater meldete sich zu allem Überdruss zu Wort (wurde aber sogleich von seiner Tochter zurückgepfiffen).
Seien wir mal ehrlich. Alle haben sie Fehler gemacht. Silvia Neid, Ulrike Ballweg, Theo Zwanziger, die Spielerinnen, die Laola Wellen, die halbausverkauften Stadien, das Triktotdesign mit seiner Kinderschrift und dem Verbandsgürtel, Rudi Völler, die Zeitungen, die Webseiten, der ganze Druck, wir, alle anderen.
Klar, Silvia Neid könnte zurücktreten, vielleicht gibt es auch genug Gründe, die dafür sprechen. Aber ist es das, was alle wollen? Ein Bauernopfer? Erzeugt durch Mediendruck?

Es ist schade, was alles unter diesem neuen Medienfladen untergeht. Zwei große Spielerinnen des deutschen Frauenfußballs verlassen die Nationalmannschaft. Ariane Hingst, seit 1996 Spielerin im Nationaldress, war über Jahre hinweg die sicherste Dirigentin der Abwehrkette. Mit ihrem fröhlichen Gemüt sicherlich darüberhinaus wichtige Teamspielerin hinter den Kulissen. Birgit Prinz, gefühlt seit immer Spielerin im Nationaldress, die Größte, die Deutschland je hatte. Sie schoß unzählbar wichtige Tore, führte Deutschland als Kapitänin zum zweiten Weltmeisterinnentitel. Früh entschied sie sich gegen die mediale Vermaktung ihres Gesichts und Namens und für Distanz, zeigte darin stets Souveränität und Reflektiertheit, zuletzt auf bemerkenswerte Weise bei ihrer letzten Pressekonferenz. Bescheiden und klug, sie wird dem Team fehlen. Es wird wohl kein Abschiedsspiel geben, Prinz und Hingst verdienen aber auch mehr als eine herbeigeschraubte Ehrenrunde. Die beiden Vorbilder für junge Fußballerinnen und Fußballer verdienen es unter ihren Fans und Unterstützer_innen gefeiert zu werden, auf der Strasse, auf den abgelegenen Fußballplätzen dieser Nation, die ihre Geschichte viel stärker mitgeschrieben haben, als die großen Schlagzeilen und Stadien. Auf dem Römer sollten die Titelverteidigerinnen gefeiert werden, das war der ach so sichere Plan. Sollten Ariane Hingst und Birgit Prinz es sich gemeinschaftlich überlegen, dort nochmal vorbei zu schauen, mögen dort alle aufstehen und applaudieren, ihnen die Hände schütteln und ihnen zeigen, wieviel sie dem Frauenfußball bedeuten. Es wäre eigentlich das mindeste.

Silvia Neid hin oder her, es gibt noch so viel zu schauen und zu feiern! Am Mittwoch ist immerhin Halbfinale, die Japanerinnen als Geheimfavoritinnen werden ordentlich mitmischen wollen! Die Französinnen haben bisher schön anzusehenen Fußball gespielt! Wir freuen uns auf Lotta Schelin! Wir freuen uns auf Hope Solo und Abby Wambach! Es kann doch ein schöner Mittwoch werden und dann ein ebenso schönes Wochenende!
Aber bevor uns die Ausrufezeichen ausgehen: Wir sind schließlich hier um Fußball zu gucken. Mitzufiebern. Tore zu feiern. Mit den Spielerinnen zu leiden und uns mit ihnen zu freuen. Hoffentlich erinnern sich einige daran.

6 Kommentare:

  1. ich hätte es nicht besser ausdrücken können - genau mein ding, ich liebe diesen blog!!!

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  2. Jawohl! Genau das und noch viel mehr! Freue mich aufs Wochenende!!! Und morgen Halbfinale YEY (allerdings ist auch Diplomgrillen..ohoh, ob das Uninetz den Stream mitmacht?)
    ich schließe mich Nofi an: ich liebe diesen Blog. Und die Frauen dahinter.

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  3. ...und was waren das für spannende viertelfinals.ich liebe fußball, genau deshalb.
    bitte gib mir mehr davon!Liebe WM 2011 von deiner spannensten seite.

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  4. Mein Endspieltipp D: FRA von vor einiger Zeit ist ja nun halbseitig relativ unwahrscheinlich. Außer, Japan sagt kurz vor Spielbeginn unter Tränen den Start zugunsten von Franzi van Alm... ah... falsche Sportart, falsches Jahrtausend; das wird wohl nicht vorkommen.

    mein jetziger Wunsch ist einerseits einfach. Frankreich wird USA raus"pétanque"n.
    Beim Gegner bin ich in einem Dilemma. Angenommen, Schweden putzt Japan weg, wie England das tat, würde die deutsche Mannschaft in einer kontinentalen Rangliste hinter Schweden und England gefühlt bestenfalls auf Platz 3 landen. Wenn Frankreich (meine Favoritinnen!) den Titel holt, ist auch der Vorrundensieg Makulatur und Deutschland fällt in Europa auf Platz 4! Drama!
    Wenn Japan ins Finale kommt, hätte man einen gewissen Trost ("Wir sind gegen den Titelträger oder zumindest den Finalisten rausgeflogen") Ist aber auch irgendwie nicht befriedigend.

    Da ich mich nicht entscheiden mag, wer im Finale besiegt wird, sag ich nur die Weltmeisterinnen an: Frankreich!
    __

    irgendwie geht der Kommentar am Thema vorbei... *grübel*

    also... Rosa... Du hast recht! Und meine Vorkommentierer_innen auch.

    (Rosa? ...noch was persönliches: ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass das je passiert, aber seit ich eine kleine Tochter habe, finde ich, dass die Farbe, die Dein Vorname bezeichnet, die schönste der Welt ist!)

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  5. so, ich tipp' jetzt nochmal die Paarung fürs Endspiel ^^

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